Mittwoch, 13. Juli 2016

Survival Trip

Der letzte Monat läuft an. Und diesmal ist es wirklich der letzte! Vor etwa einem halben Jahr schrieb ich ein Posting über die minutiöse Planung in Phasen, die von extremer Überlastung geprägt sind - damals wusste ich noch nicht, dass meine Arbeit viel länger dauern würde als geplant. Das halbe Jahr mehr hat mich tatsächlich gerettet und trotzdem wird es zum Ende hin einfach eng. Und - wie könnte es anders sein - gerade nun funken mir noch andere Aufgaben dazwischen, die mich für eine komplette Woche lahm legen, was das Ganze zunehmend ungemütlich macht. Und dann ist da ja noch der Job, in den ich mich zugegebenermaßen ziemlich hineinknie und in dem einfach genau so viel Herzblut drinsteckt, wie in meinem Alleinerziehendenprojekt.

Wie wichtig letzteres ist, wird mir tagtäglich klar, wenn ich in den sozialen Medien diverse Beiträge von den beiden von mir sehr geschätzten und sehr engagierten Frauen - Alexandra Widmer, die gerade ihr (mit Sicherheit absolut lesenswertes - ich freue mich extrem darauf!)  Buch auf den Markt gebracht hat und Christine Finke, die ebenfalls vor recht kurzer Zeit veröffentlich hat - lese. Beide sind auch immer wieder in den Medien vertreten wie heute erst - Christine Finke war auf Deutschlandradio Kultur zu hören, was auch noch einer meiner erklärten Lieblingssender ist. Ganz zu schweigen von der hochaktuellen Bertelsmannstudie. Aber auch der vereinbarkeitsblog oder "Mutterseelenalleinerziehend" und nicht zuletzt Rona Duwe (alle sind hier im Blog verlinkt) - alle schrei(b)en hinaus, wie sehr es bei "uns" an allen Ecken und Enden brennt.

Oh ja, und bei mir brennt es gerade ganz besonders. Ich merke, wie mein Nervenkostüm gerade äußerst dünn ist und fahre viel schneller aus der Haut, als sonst. Mit meiner Mutter hat es öfters mal gewaltig gekracht und auch mein Sohn merkt, dass Mamas Zündschnur gerade etwas verkürzt ist.

Umso wichtiger, immer wieder mal da, wo es geht, etwas für die Seele einzubauen, auch, wenn es schwer ist. Es darf halt keine Zeit kosten. Aber dann kommen Tage, die mich in die Erschöpfung treiben und das hat meist Gründe, die mit der Studie wenig zu tun haben. Die erwähnten Streitereien mit meiner Mutter, die aber gleichzeitig die einzige ist, auf die ich immer zählen kann, wenn es darum geht, sich mit mir um meinen Sohn zu kümmern. Ärgernisse, die den Vater betreffen, der wirklich ein ganz feiner Mensch ist und den ich nach wie vor nie böse sein könnte, der es  aber einfach nicht auf die Reihe bekommt, mir mit ein wenig Vorlaufzeit mitzuteilen, wann er den Jungen nimmt - erst recht die Ferien betreffend - und folglich, dass ich eine teure Ferienbetreuung buchen muss, um dann am 10. Juli die Umgangstermine für Juli (!) zu erfahren und auf mein Drängen hin dann auch, auf welche Augustwochen der Urlaub nun verlegt wurde... Für mich ein Graus, denn ich muss meine Planung - gerade, wenn die Arbeit am 15.8. ins Korrektorat gehen soll - viel früher machen! Tja, an dem Tag war ich dann also dank der neuen Informationen drei (!) Stunden damit beschäftigt, mit Papa und Oma die Betreuungszeiten zu planen. Muss ich erklären, was das mit meinem dünnen Nervenkostüm anrichtet?

Zusätzlich mache ich mir Gedanken um meinen Sohn, der sehr sensibel ist und meine Anspannung natürlich spürt. Aber noch mehr regt mich der Anruf seiner Lehrerin auf, weil er nicht alle (der acht Seiten!) Hausaufgaben gemacht hat. Sie sei ihm persönlich nachgelaufen, weil etwas im Heft gefehlt habe, und er habe es am nächsten Tag nicht erledigt - das habe sie enttäuscht. - Das Telefonat dauerte eine halbe Stunde. Am nächsten Tag schrieb ich einen Brief an sie, dass ich beschlossen hätte, dass der Junge nun nichts mehr machen müsse, was über eine halbe Stunde Arbeit hinausgehe. Habe ich beschlossen - Tipp einer Mama aus der Parallelklasse. Meinem Sohn mache ich vor den Ferien keinen Druck mehr!

Ganz nebenher laufen im Job diverse Baustellen, die vor allem damit zu tun haben, dass meine Stelle in dem laufenden Projekt bis Ende Oktober befristet ist und ich gerne dran bleiben würde, bis klar ist, ob ein großes Projekt, in dem ich promovieren könnte, finanziert wird. Es stand ein langer Termin an - für mich sehr wichtig, sehr offiziell - und ich totales Frischfleisch. Plötzlich sitze ich an einem großen Tisch mit Menschen aus einer Liga, die mir völlig neu ist. Und auch wenn ich nicht gerade schüchtern bin - im Gegenteil - fühle ich mich bei jedem Wort, das aus mir heraussprudelt, völlig unsicher. Nach drei Stunden war ich dann völlig erschöpft, aber scheinbar war mein Beitrag nicht schlecht - ich habe am Montag als allererstes gefragt, ob ich in ein Fettnäpfchen gesprungen bin - kam die Rückmeldung, was ich gesagt habe, sei völlig in Ordnung gewesen. Nun gut. Immerhin.

Ab Dienstag habe ich dann anderthalb Wochen "Urlaub" und knie mich in meine Masterarbeit, die dann hoffentlich bald fertig ist. Bis dahin werden alle Haushaltsaktivitäten inklusive Kochen bis auf ein Minimum reduziert. Ich habe vor der Tür drei türkische, drei asiatische und einen arabischen Takeaway, einen Griechen, zwei Pizzadienste - ganz zu schweigen davon, dass ich diese online-Lieferdienste schon immer mal testen wollte. Wenn ich nachts aufwache und nicht schlafen kann, stehe ich umgehend auf und sitze notfalls um 3.15 Uhr schon an der Arbeit, um abends mit Söhnchen ins Bett zu plumpsen. Der wiederum belagert mich nachts fast rund um die Uhr, was mir zeigt, dass er echten Nachholbedarf hat und eine Strategie, sich zu holen, was er braucht.

Und ich bemühe mich, verstärkt Kontakt mit meinen Freunden aufrecht zu erhalten, die ich gerade mehr brauche, denn je, denn irgendwo muss ich meinen Dampf ablassen.

Und nun ist mein Sohn dran, der mir etwas vorlesen möchte. Meine Pause ist vorbei. 


Montag, 13. Juni 2016

Chances of repartnering after relationship breakdown

Es ist Montag, 4.40 Uhr und ich bin wach. Noch. Und ich werde es auch bleiben. Spätestens, wenn die Vögel anfangen zu zwitschern, komme ich an den Punkt, an dem mir klar wird, dass die Nacht gelaufen ist. Und es ist die zweite Nacht dieser Art innerhalb von nicht einmal zwei Wochen - kein gutes Zeichen.

Unter das Gezwitscher der Vögel mischt sich der Regen draußen und das leise Geschnarche meines Sohnes drinnen. Ich hatte ja gehofft, er würde diese Nacht mir mein Bett mal allein überlassen; immerhin ist er in seinem Zimmer eingeschlafen. Aber just in dem Moment, als ich mich hineinschlich, bevor ich schlafen gehen wollte, war er scheinbar gerade aufgewacht und ergriff die Gelegenheit beim Schopf, gleich überzusiedeln.

Was genau mir den Schlaf raubt, kann ich nicht sagen. Es wird wohl einiges zusammenkommen. In den letzten Wochen ist viel passiert. Das wiederum verursacht wohl auch die Anhänglichkeit meines Sohnes.

Ich habe ja schon darüber erzählt, welche Gedanken zu meiner Masterarbeit geführt haben. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, darüber nachzudenken und aktuell schreibe ich an meinem theoretischen Hintergrund.

Da geht es ganz viel um Belastung - Belastungen alleinerziehender Mütter, welche vor allem aus einer Art Teufelskreis aus Armutsrisiko, sozialer Isolation, Arbeitslosigkeit oder -überlastung und den Folgen einer Scheidung - wirtschaftlich und sozial in Form von Konflikten - resultieren. Dann geht es um das erhöhte Risiko psychischer und körperlicher Folgen. Um die Notwendigkeit von Unterstützung und um das riesengroße Unterstützungspotential von Partnerschaften - allgemein, auch ohne Belastung, aber erst recht in großen Belastungssituationen. Und dann um die Perspektiven von Alleinerziehenden in Punkto neue Partnerschaft.

Ganz ehrlich - wenn ich gewusst hätte, was da auf mich zukommt, hätte ich das Thema nicht gewählt. In den ersten Jahren meiner Zeit allein mit Kind ging es mir zwar nicht gut, aber ich habe nicht zugelassen, dass es mich komplett runterzog. Ich habe einfach die Ärmel hochgekrempelt und gekämpft. Ich habe mich einfach geweigert, mich als Alleinerziehende zu akzeptieren. Alleinerziehend, das war ein Begriff, sonst nichts. Was mich getragen hat, war der unmittelbar nach meinem Auszug entstandene Plan, es beruflich so richtig krachen zu lassen und eine hammermäßig fette wissenschaftliche Karriere hinzulegen. Na gut, so richtig wird das mit Mitte/Ende dreißig nichts mehr mit der fetten Karriere. Aber irgendwie würde ich uns schon zumindest aus der finanziellen Misere herausmanövrieren, sodass wir wenigstens ein drittes Zimmer haben könnten und mal in Urlaub fahren. Ich wollte nie, nie mehr in die Situation kommen, wirtschaftlich abhängig zu sein, wenn ich es mal aus der Abhängigkeit herausgeschafft hätte. Ich wollte Sorge tragen, dass ich es notfalls immer ohne Partner schaffen würde, meinem Kind beste Voraussetzungen zu schaffen, ihm ein Vorbild sein und ein bisschen was von der Welt zeigen. Diese Phantasie hat mich über die ersten Jahre hinweg gerettet. Sonja wird die Superheldin und ein neuer Partner würde sowieso nur das i-Tüpfelchen - vermutlich hat das auch dafür gesorgt, dass mein Bild von Partnerschaft erst mal ganz schön schräg war und erst mal gerade gebogen werden musste.

Meine Motivation, mich in die Arbeit zu stürzen, dabei für meinen Sohn alles zu sein und die Bedürfnisse meiner Seele hinten an zu stellen haben mich nach zwei Jahren zum ersten Mal zusammenklappen lassen. Ich habe es in fast sechs Jahren immer noch nicht geschafft, mich um meinen total verkorksten Rücken zu kümmern und diese verfluchten 10, 15 Kilo loszuwerden, die mich einfach total ankeksen. Aber es hilft ja nichts. Augen zu und durch.

Die Folgen dieser langen Zeit alleine formen auch die Identität und die Voraussetzungen, mit denen man, wenn überhaupt, in neue Beziehungen hineingeht.

Ich habe nämlich mittlerweile auch die Erfahrung gemacht, dass man genau als das wahrgenommen wird: Als eine bewundernswerte Superfrau, mit der man sich gern umgibt - aber die so richtig ernsthaft als Partnerin nicht infrage kommt, da mein Plan ja die wissenschaftliche Karriere ist.

Wie um alles in der Welt kann man das eigentlich richtig machen? Auf dem "Markt" da draußen will sich immer jeder alle Möglichkeiten schön warm halten und sich ja nicht entscheiden müssen; möglichst lange die Chance haben, etwas besseres zu finden oder erst tausendprozentig sicher sein, dass nichts besseres mehr kommt.

Als Frau Ende 30 mit Kind ist man in den seltensten Fällen die beste Alternative. Es gibt meist jüngere, attraktivere und vor allem kinderlose Frauen - das zeigt leider auch die Statistik, wie ich mir in den letzten Tagen gehäuft reinziehen musste. "Chances of repartnering after relationship breakdown" und so. Frauen mit Kinder haben ein Problem und mit zunehmendem Alter sinken die Chancen.

Als vernünftige (endlich!) Frau weiß man sowas auch ohne sich das von empirischen Arbeiten unter die Nase reiben zu lassen. Und was macht man? Richtig. Wenn man alle Felle davonschwimmen sieht, bringt man zumindest sein eigenes kleines Schäfchen unter maximalem Kraftaufwand ins Trockene, wobei man jeden Tag Opfer bringt. Warum man das tut, verdrängt man natürlich! Man macht aus der Not eine Tugend und erfreut sich an seiner Arbeit und seinen Erfolgen und sagt sich, dass das Ziel es wert ist. Und schon hat man einen Ausweg aus dem Karasek-Modell, das besagt, dass bei hohen Anforderungen mit wenig Spielraum nichts Gutes dabei herauskommt, aber hohe Anforderungen und viel Spielraum pushen - und indem man sich sagt, man will es, hat man nicht nur mehr Spielraum, man hat ein ganzes Entwicklungs-Spielfeld, auf dem man sich austoben kann und ganz nebenbei die Perspektive: Bessere Qualifikation, bessere Chancen zu überleben.

Ich sage nicht, dass ich das ungern tue. Mir macht es tatsächlich Spaß. Aber es steht nicht über allem.

Und ich behaupte nun, dass das der Killerfaktor sein kann, der die Chancen für eine neue Partnerschaft noch zusätzlich reduziert. Ich sage bewusst nicht, dass es unmöglich wird, ich rede natürlich auch nur von Statistik, wie immer.

Trotzdem arbeitet es in mir und ich frage mich, wie man es als Frau in meiner Lage überhaupt "richtig" machen kann? Wobei ich nicht der Typ bin, der überhaupt versucht, etwas richtig zu machen. Ich kann nicht mehr, als mein Leben so führen, wie die Umstände es verlangen und versuchen, es auch alleine hinzukriegen, für den Fall, dass ich nicht das unheimlich große Glück habe, jemanden zu finden, der da mitgeht und den Rucksack auf meinem Rücken sieht. Er muss ihn mir nicht abnehmen, er muss ihn  nur wahrnehmen und verstehen, was er bedeutet. Und gut finden, dass ich ihn tragen kann. Und dann vielleicht ein bisschen was von dem Gewicht nach und nach zusammen mit mir herausnehmen, bis er leichter wird und ich damit tanzen kann.









Sonntag, 12. Juni 2016

Wie es zu meiner Masterarbeit kam

Seit ein paar Tagen habe ich so einen richtigen Schreibfluss. Das ist natürlich erfreulich; es geht etwas voran. Und ich gewinne wieder einen Bezug zu meinem Thema, nachdem ich nun Monate in der Matrix verbracht (Das klingt extrem cool, finde ich. Und es passt einfach zu dem ausschließlichen Denken in Variablen.) und nur Zahlen gesehen habe.

Als ich meine Probandinnen suchte, habe ich natürlich nicht immer ganz offen gelegt, worum es geht. Das möchte ich nun nachholen.

Und weil ich in den letzten Tagen mich entschieden habe, dass ich mit dem Abschluss meiner Arbeit meinen Blog auch tatsächlich beenden werde, möchte ich zum Schluss etwas tun, das ich nicht unbedingt vorhatte, nämlich wirklich persönlich über mein Thema zu erzählen. Wie es dazu kam und wie ich nun, fast zwei Jahre nach meiner Idee, darüber denke.

Das Ganze beginnt mit einem Moment, an den ich noch eine sehr genaue Erinnerung habe. Ich stand in meinem Wohnzimmer in der Erlanger Wohnung und ich glaube, ich stand mit dem Blick zu dem schlimmsten Fenster in der ganzen Wohnung; dem, das sich (wie fast alle außer ein Küchenfenster) nicht mehr öffnen ließ und blöderweise auch nicht über einen Balkon zugänglich war, sodass man es von außen nicht mehr putzen konnte. Ich hatte es mit einem Dekostoff abgehängt, weil der Anblick selbst mir als jemand, der seine Fenster ca. nur zweimal im Jahr putzt, zu hart war.

Ich erinnere mich, wie sich in meinem Kopf die Worte formten "Ich bin hier total isoliert." und im selben Moment "Ich bin lebendig begraben.". Die Erkenntnis war ein Schock. Sehr lang hatte ich es verdrängt und plötzlich wurde ich mir meiner unglaublichen Misere bewusst.

In dem Moment krachte irgendwie alles über mir zusammen. Und mir wurde klar, dass ich etwas tun musste.

Der Wunsch nach einer Partnerschaft ist glaube ich bei den meisten alleinstehenden Menschen immer ein Thema. Um zu wissen, dass dieser Wunsch auch einen guten Grund hat, braucht man auch kein Psychologiestudium. Selbst als sehr überlebensfähiger Mensch, der zudem auch noch Zeit für sich braucht und nun schon über sein halbes Leben allein lebt (das Kind zähle ich hier mal nicht mit) fühle ich mich schutz- und rastlos, solange ich den Menschen, der mich ergänzt, nicht gefunden habe.

Nach vielen Niederlagen und Enttäuschungen, gekrönt vom Scheitern meiner kurzen Ehe, wusste ich allerdings nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Ich war völlig durcheinander und desillusioniert. Hatte ich sowieso nie von der Nummer mit dem Märchenprinzen auf dem weißen Pferd und der romantischen Hochzeit in Weiß geträumt, hatte ich folglich nach dem Ehe-Aus erst einmal das kleine bisschen Rest-Romantik, das vermutlich auch irgendwo in mir schlummert, gna-den-los vom Tisch gewischt.

In dem Fall wäre es natürlich am besten, das Thema erst einmal ruhen zu lassen. Und trotzdem bin ich natürlich auch ein Mensch mit Bedürfnissen und Sehnsüchten - und WELTmeisterin darin, das vor mir selbst zu verleugnen. Also - nicht die Tatsache, dass eine Partnerschaft schon irgendwie nett wäre natürlich. Aber ich ging das alles erst einmal nüchtern an.

Wenn man nun gefühlt am A**** der Welt sitzt mit einem Kleinkind daheim, in einer Studentenstadt, in der die meisten Menschen aus dem alltäglichen Umfeld entweder zehn Jahre jünger und dazu weiblich sind oder ihre Familienidylle haben und man auch da nicht wirklich reingehört, man zudem auch noch chronisch abgebrannt ist, bleibt da natürlich nicht viel, außer die kostenlos zugänglichen Datingportale.

Ich will diese Portale gar nicht schlecht reden. Man lernt nach einiger Zeit, damit umzugehen. Und tatsächlich trifft man da auch spannende Menschen - ich habe dort sogar Männer kennengelernt, mit denen ich bis heute noch Kontakt habe. Einen davon möchte ich, auch wenn wir uns selten hören und noch seltener sehen, nicht mehr missen, weil er sich wirklich wie ein langer, vertrauter Freund anfühlt und wir auf einer sehr tiefen Ebene miteinander sprechen können. Mehr ist da halt nicht - aber auch nicht weniger.

Nach einiger Zeit wurde mir aber ein weiterer "Nutzen" klar: Meist wird man auf solchen Portalen dazu angehalten, sich zu beschreiben und auch anzugeben, was man eigentlich sucht. Und ich bin Meisterin im Ausfüllen von Profilseiten. Pah, was heißt eigentlich Profilseiten - ich schreibe keine Profile, ich baue Biotope. Meine Profile leben, sie entwickeln sich und verändern sich auch mit jeder Erfahrung, die ich mache. Wie praktisch für die Selbstreflexion!

Die meisten meiner Erfahrungen machte ich schriftlich und beim Durchsehen der anderen Profile dort und schon das reichte mir, um mir immer klarer darüber zu werden, was ich nicht möchte. Tatsächlich aber habe ich auch auf diesem Weg Menschen besser kennengelernt. Auf wenige habe ich mich, mal mehr, mal weniger, aber immer mindestens ein bisschen, eingelassen und nachdem ich ja nun immer noch alleine bin, dürfte klar sein, dass auch all diese kleinen Versuche nicht ohne kleinere, manchmal auch größere Kratzer einhergingen. Die wiederum lehrten mich, was ich offenbar brauche, was ich will und wozu ich bereit bin. All dies war irgendwie ständig im Wandel und das spiegelte sich in dem, was ich dort schrieb und löschte und hinzufügte und änderte..... kurzum: Ich fand ganz ehrlich mein eigenes Profil auf diesen Seiten immer am interessantesten.

Diese Datingseiten haben aber auch hässliche, anstrengende, demütigende und verletzende Seiten. Schon das gesamte Procedere ist würdelos, es ist ein "meat market", eine Fleischbeschau, ein Menschen-Shoppen, ein ständiger Vergleich und manche Männer halten es offenbar für die preisgünstigere Variante zu käuflichem Sex. Als Frau kann man eigentlich noch so sehr darum kämpfen, als Person wahrgenommen zu werden und noch so deutlich schreiben, dass man nichts von "casual Dating", Affären, "Friends with benefits" etc. hält (nicht, ohne das vorher auch gründlich in Erwägung gezogen zu haben!) - es wird ja meist nicht einmal gelesen. Und die Zuschriften, die man bekommt, von denen fange ich gar nicht erst an. Nur so viel: Komplette Sätze mit Satzzeichen, einem Gruß vorne und hinten - Fehlanzeige.

Trotz allem findet man wie gesagt manchmal eine Perle und selbst, wenn bislang nichts dabei herausgekommen ist - es ist ein relativ ökonomischer Weg, "unter Menschen" zu kommen. Und so schlug ich dort doch einige Abende meiner "Einzelhaft" tot und hatte eine Art on-off-Beziehung mit dem online-Dating - off, weil es mir schnell auch zu viel wurde und ich das doch überwiegend primitive Niveau nicht gut auf Dauer ertragen konnte und on, weil ich dachte, ich sei es mir schuldig, das Thema mit der neuen Partnerschaft noch nicht ganz abzuhaken - mit wenig Aufwand, ohne genau zu wissen, was ich will und was ich überhaupt noch bekomme und vor allem stets darum bemüht, mich und mein Herz zu schützen.

Und irgendwann fand ich mich in meinem Wohnzimmer, halb tot vor Einsamkeit. Voller Angst vor erneuten Niederlagen und Verletzungen, angewidert von den Lügen auf dem meat-market, von der Gefühllosigkeit, den der Distanz und dieser Dissoziation, die sich in mir eingeschlichen hatte. In der ganzen Zeit hatte mein Kopf zwar immer weiter gearbeitet bei der Analyse meiner do & don't-Liste - aber meine Gefühle hatte ich ganz, ganz weit weg geschoben.

Diese Erkenntnis, einsam zu sein, war für mich ein Schock. Und mir wurde klar, dass es nur einen Weg gibt, das zu beenden, nämlich mir wieder zu gestatten zu fühlen, zu brauchen, zu wünschen - und damit ein gewaltiges Risiko einzugehen. Und, mich damit auseinanderzusetzen, was Partnerschaft für mich bedeutet, denn irgendwie hatte ich immer noch gar kein richtiges Bild davon. Die Jahre waren nur so an mir vorbeigerauscht, ich hatte mich verändert. Als ich den Vater meines Sohnes kennenlernte, hörten wir noch Rage Against The Machine, Metallica und gingen bei The Cavalera Conspiracy ab wie Schmidts Katze. Dass ich da herausgewachsen bin, ist mir erst vor Kurzem klar geworden. Mittlerweile höre ich wieder (wie in meiner Jugend schon) gern Klassik und instrumentale Musik und habe mir vor einiger Zeit erst ganz viel Tango-, Flamenco- und Jazz heruntergeladen. Aber auch das ist ein anderes Thema.

So ähnlich war das mit dem Thema Partnerschaft auch, das heißt: Ich habe mich zum ersten Mal vor dem Hintergrund damit auseinandergesetzt, dass ich mich wirklich wieder einlassen muss und wie ich mir das so vorstelle. Ich habe gesehen, dass ich dafür als Frau, die sich auch weiterentwickelt hat, auf neues Terrain einlassen und meine vertraute Komfortzone verlassen müsste, indem ich mir eingestehe, was mir fehlt, wonach ich mich sehne und was ich auch brauche. Brauche, herrje!

Naja, und was macht man da als Wissenschaftlerin-to-be? Ganz genau. Erst mal abchecken, ob sich das alles überhaupt lohnt. Dem drohenden emotionalen Terrain erst mal ganz laut das erlernte Forschungshandwerk entgegensetzen und eine Art qualitative Kosten-Nutzen-Analyse machen.

Vor dem Hintergrund der Kosten - Partnersuche (sich weiterhin online mit ätzenden Kerlen herumschlagen), Zeitaufwand (Studium, Kind, was noch?!), Schutzwall herunterlassen (Hilfe!) - LOHNT es sich überhaupt? Wird es mir dann auch wirklich besser gehen oder ist es einfach nur eine zusätzliche Belastung, eine neue Partnerschaft aufzubauen, zu organisieren und auszuhandeln und zwar in einer Triade, nicht nur in einer Dyade?

Da spielen natürlich eine Menge Faktoren mit hinein, gar keine Frage. Ich habe mir dafür ein paar Punkte ausgesucht und mich dabei - ganz romantisch - an dem Prinzip von Prognoseinstrumenten aus der Straftäterbegutachtung orientiert: Ich wollte vor allem objektive Merkmale der Beziehung verwenden, das ist ja auch am praktischsten. Wie so eine Art Checkliste, um damit eine Prognose erstellen zu können. Eine Checkliste wird das natürlich nicht, aber ich hoffte, zumindest sagen zu können: Unter dieser und jener Bedingung tut ein neuer Freund einer maximal gestressten alleinerziehenden Frau tatsächlich auch so richtig gut.

Meine Theorie dazu werde ich beizeiten mal erklären. Aber nicht mehr heute.