Als
ich heute vor sieben Jahren aufwachte, war ich aufgeregt. Es war der 4.
Februar 2009 und ich wartete nervös auf Wehen, die die Geburt meines
Sohnes eröffnen würden. Der errechnete Entbindungtermin war
überschritten, der Fruchtwasserstand niedrig und Tag für Tag musste ich
mich im Klinikum vorstellen, um nach dem Rechten sehen zu lassen. Die
Untersuchungen waren unangenehm und es war zudem bereits ein Versuch,
die Geburt einzuleiten, missglückt. Man bereitete mich darauf vor, den
Jungen per Sectio zu holen und ich war unglücklich, fühlte ich mich auf
die Geburt so gut vorbereitet, war gespannt darauf und freute mich sogar
auf die Herausforderung. Und natürlich war ich überzeugt, dass eine
Geburt auf natürlichem Weg auf für mein Kind der beste Start ins Leben
sein würde. Noch einen Tag hatte man mir gegeben. Die Aussicht auf eine
operative Entbindung stresste mich massiv, mein Blutdruck war in
Dimensionen, die sogar das Ziehen eines intravenösen Zugangs zu einem
Abenteuer machten. Ich war verzweifelt, denn ich war noch nie auf einem
OP-Tisch gelegen und hatte - abgesehen von der Nacht der
fehlgeschlagenen Einleitung - auch noch nie in einem Krankenhaus
geschlafen. Und da war mein Mann bei mir geblieben, weil ich sonst
heimgegangen wäre.
Die
Hebammen im Klinikum hatten mir Rhizinusöl abgefüllt; der Plan war, am
Nachmittag einem Wehencocktail die Chance zu geben, die Wehen doch noch
anzustoßen. Der Vater meines Sohnes hatte an diesem Tag Spätschicht und
ich war allein, aber die Hebammen im Klinikum wussten Bescheid und ich
hätte mir im schlimmsten Fall eben ein Taxi gerufen.
Ich
schlief also noch ein Stündchen und gegen 15 Uhr trank ich das Gemisch
und wartete. Um 18 Uhr grummelte es einmal kräftiger im Bauch, das war
es dann. Um kurz vor 23 Uhr kam mein Mann* nach Hause und wir gingen
bald schlafen. Ich war unruhig und griff auf ein alt bewährtes Mittel
zurück, das aus langen Jahren regelmäßiger und teils massiver
Schlafstörungen schon gut kannte: Hörspiele. Besonders Kishon hat es mir
angetan und so lag ich im Bett und lauschte ausgewählten Kishon-Satiren
zum Einschlafen.
Es
war kurz vor Mitternacht, als ich in dem Zwicken in der Bauchgegend
eine Regelmäßigkeit im Abstand von 10 Minuten feststellte, konnte aber
nicht ganz glauben, dass das Wehen sein sollten. Ich rief im Krankenhaus
an, wir fuhren hin und ich erfuhr, dass die Geburt begann.
Womit auch das Ende des schönen Teils der Geburt meines Sohnes endet.
Ich
war auf alles vorbereitet gewesen, auf Schmerzen und Erschöpfung, aber
ich hatte damit gerechnet, von einer Hebamme begleitet zu werden.
Tatsächlich wurden mein Mann und ich mit nur wenigen Unterbrechungen
allein gelassen. Viele Stunden war das auch okay, wir konnten uns
beschäftigen, das Ganze war ja auch aufregend und spannend. Als die
Schmerzen heftiger wurden, fragte ich nach, ob es eine Alternative zur
PDA gebe und erhielt einen Tropf, von dem mir mitgeteilt wurde, dass er
aber nur die Spitzen der Schmerzen abpuffern könne. War auch so, aber
mir ging es gut damit. Ich war entschlossen, die Schmerzen eben zu
ertragen, als Teil des Geburtserlebnisses. Für irgendwas würde auch das
gut sein.
Die
Hebamme war sichtlich froh über eine so "unkomplizierte" Entbindende.
Unkompliziert, ein Attribut, das mir schon mehrmals verliehen wurde und
jedes Mal fluch(t)e ich innerlich, denn ich mag zwar immer bemüht sein,
niemandem auf die Füße zu treten und mein Gegenüber im Blick zu
behalten, bin aber gleichzeitig zutiefst sensibel und schlucke sehr viel
herunter. Und oft bekomme ich dadurch vieles nicht, das ich eigentlich
dringend bräuchte, denn man merkt es mir nicht an und ich sage auch
nichts. Wie auch in den frühen Stunden des 5.2.2009.
Als
ich an den Punkt kam, an dem ich doch einmal etwas sagte, war das nur,
dass der Tropf leer sei und ob ich einen neuen bekommen könne. Die
Antwort, die ich erhielt, war "Nein, zu viel fürs Kind und es kommt auch
jeden Augenblick." - so ungefähr. Und natürlich dauerte es nicht lang,
bis die Schmerzen unerträglich wurden. Das war der Moment, in dem ich
weiblichen Beistand dringend gebraucht hätte.
Stattdessen
teilte mir die Hebamme mit, sie habe nun Feierabend. Ich war völlig
entsetzt. Wenig später stand die Ablösung vor mir, eine grobschlächtige,
völlig fremde Frau, die mir lapidar mitteilte, ich könne jetzt mal
anfangen zu pressen. Ich war völlig überfordert und hatte unglaubliche
Angst.
Nach
einigen Presswehen, die scheinbar nicht genug voranbrachten, verließ
sie wortlos den Raum und kam mit Oberärztin, Kinderarzt inkl.
Gerätschaften und mindestens einer weiteren Helferin zurück. Erklärt
wurde mir nichts, und was dann folgte, machte den tollsten Tag meines
Lebens zu einem Albtraum. Ich habe es über mich ergehen lassen, die
Augen zugemacht und war nicht ganz sicher, ob ich sie jemals wieder
öffnen würde. Zu viert standen sie um mich herum und irgendwo hinter mir
der Vater meines Sohnes und ich bin sicher, für ihn war das ein
furchtbarer Anblick. Wie die Geburt dann vonstatten ging, kann ich nicht
beschreiben, ich empfand es als gewaltvoll und demütigend.
Irgendwann
spürte ich, dass mir etwas auf die Brust gelegt wurde und ich wusste,
das war mein Kind. Es war schwer, nass und warm und ich brachte es nicht
fertig, die Augen zu öffnen. Sekunden später war es auch schon wieder
weg.
Bis
heute weiß ich nicht, warum mein Kind so aus mir herausexorziert wurde.
Ich stand unter Schock und war so dermaßen dankbar, dass wir noch
lebten, dass ich nie danach fragte. Das Kind hatte später einen
perfekten APGAR und war putzmunter, gefährlich oder kritisch war da
jedenfalls nichts gewesen. Ich wollte es hinter mir haben, nach
Hause und einfach vergessen.
Ich
wurde wohl 45 Minuten versorgt, bevor man mich auf den Flur hinter
einen Paravent (!) schob, wo ich mich dann bereit fühlte, mein Kind
entgegenzunehmen. Ich verbrachte die erste Nacht im Krankenhaus und
danach wollte ich heim. Ich hoffte auf die Unterstützung meiner
Nachsorgehebamme, aber diese kam total gestresst bei uns an und machte
das Ganze eher schlimmer, als besser.
So
verlief also die Geburt meines Mutterseins. Und ich bin sicher, dass
die Folgen dieses Geburtserlebnisses einen großen Einfluss auf den
Verlauf der Geschichte unserer Familie hatten. Ich will nicht sagen,
dass wir ein besseres Paar gewesen wären; wir wären früher oder später
sicher auch gescheitert und ich denke, dass früher in solchen Fällen
besser ist. Aber ich hätte nicht ein (weiteres) schweres Trauma im
Rucksack gehabt und wäre in vielen Dingen vielleicht etwas gelassener
gewesen.
Heute
morgen habe ich meinem Sohn, der aufgeregt seinem siebten Geburtstag
morgen entgegenfiebert, wie jedes Jahr von seiner Geburt erzählt (die
entschärfte Version!). Und wie jedes Jahr bin ich traurig, sobald ich
alleine bin und über die Jahre, die wir nun gemeinsam hatten, nachdenke.
Wie jedes Jahr habe ich dabei Tränen in den Augen.
Nicht, weil jetzt alles so "furchtbar" ist - das ist es nicht.
Ich betrauere die enttäuschte Hoffnung.
Wenn
man ein Neugeborenes in dem Arm hält, ist alles, was man will, diesem
neuen Leben alles zu geben, was es verdient, und nicht nur das Kind:
Auch Eltern haben eine intakte Familie verdient. Und wir hatten so viel
Hoffnung, hatten uns so gefreut. Und vieles haben wir gut gemacht und
machen nach wie vor vieles gut.
Dennoch:
Als mein Sohn 20 Monate alt war, lebten wir zwei bereits allein. Ich
war ausgezogen, weil ich keine Hoffnung mehr hatte. Keine Hoffnung, dass
wir uns jemals gegenseitig helfen könnten, unsere beider Rucksäcke zu
tragen. Keine Hoffnung, dass wir jemals als Paar zueinander finden und
uns vertrauen könnten. Keine Hoffnung, dass mein Sohn in einer intakten
Familie großwerden würde. Die Hoffnung, dass ich eine intakte Familie haben würde.
Ziemlich
bald nach der Geburt äußerte ich, dass ich ein zweites Kind haben
wollte, "in fünf Jahren oder so...". Im Nachhinein wird mir klar, dass
dieser Wunsch wohl vor allem daher rührte, dass ich auch gern unter
schöneren Bedingungen ein Kind geboren hätte. Heute kann ich sagen: Ich
würde gern meinen Sohn noch einmal - weniger gewaltsam - zur Welt
bringen und ihn danach in Empfang nehmen, so wie ein Kind es verdient,
wenn er mir auf die Brust gelegt wird.
Ich
denke, der Wunsch nach Kompensation bedingt vieles von dem, wie ich
empfinde und handle. Es sind Schuldgefühle, die ich im Rucksack habe.
Die
Angst, mein Sohn könnte Schaden nehmen oder unglücklich werden, hat
mich aber vielleicht auch zu einer guten Mutter werden lassen. Dass mein
Bauchgefühl mich zu dem, was man gemeinhin als "attachment parenting"
versteht**, geleitet hat, liegt sicher auch daran, dass ich ihm durch
meine Schuldgefühle alles an Liebe angedeihen lassen wollte, was ich
habe. Dass ich selbst mit Liebe großgezogen wurde, hat damit aber sicher
auch viel zu tun. Und so waren die Bedürfnisse meines Kindes immer das
Allerwichtigste und mir tat die Nähe zu ihm auch gut. An dieser Stelle
muss ich aber auch sagen, dass sein Vater ein großartiger Partner in
Sachen attachment parenting war. Und auch jetzt bei seinem zweiten Kind
immer noch ist, das weiß ich aus Erzählungen meines Sohnes.
Ich habe kein zweites Kind bekommen. Und wie es aussieht, werde
ich auch kein weiteres Kind mehr bekommen. Ich habe viel dafür
geopfert, mein Studium trotz der widrigen Umstände durchzuziehen, vor
allem Zeit mit meinem Kind. Weil ich hoffe, dass es uns wenigstens
wirtschaftlich besser gehen wird, wenn ich ein abgeschlossenes Studium
habe, und, weil ich ihm selbst den Weg ebnen will, dass ihm später alle
Türen offen stehen. Ich bin seine primäre Bezugsperson und ich möchte
ihm ein Vorbild sein. Und nun, mit 38 Jahren, wird die Zeit knapp.
Andere
Alleinerziehende haben andere Prioritäten - zum Beispiel, möglichst
bald wieder eine intakte Stief-/Patchworkfamilie herzustellen und das
ist auch gut und richtig!
Für
mich gab es diese Alternative vor allem am Anfang nicht; nach vielen
traumatischen Jahren (schon bevor ich den Vater meines Sohnes
kennenlernte) brauchte ich vor allem eins und das war Stabilität. Und
somit auch eher eine stabile, teilweise ziemlich miserable Lage, als
eine erneute hoffnungsvolle Runde "trial and error".
Ich
hadere oft mit meinem - nein: unserem Werdegang. Ich bin nun genau 38,5
Jahre alt und baue auf Karriere. Gedanken an einen zweiten Versuch
"Familie" verdränge ich, es ist wohl das Beste. Und mein Sohn hat jetzt
ja wenigstens eine kleine Schwester, die er heiß und innig liegt. Aber
ich weiß, dass der Junge sich im Alltag nach einer Familie sehnt, die
mehr Personen umfasst, als nur ihn und mich.
Morgen
feiern wir seinen Geburtstag. Wie jedes Jahr bin ich im Stress. Seit
2011 waren es die Klausuren Anfang Februar, dieses Jahr ist es die
Masterarbeit. Ich denke dabei an meine eigenen Geburtstage und wie sehr
ich den schönen Geburtstagtisch und den Kuchen geliebt habe. Und
natürlich die Geschenke. Und auch mein Sohn liebt seinen Geburtstag und
er wird immer gebührend gefeiert. Dieses Jahr fällt er auch einen
Freitag und wie feiern quasi das ganze Wochenende, mit meiner Mutter und
mit meinen Freunden. Kindergeburtstag wird bei uns der 1/2 gefeiert, im
August, wo man rausgehen kann.
Und nun backe ich Kuchen und kaufe Geschenkpapier.
[*An
dieser Stelle möchte ich bemerken, wie komisch es sich anfühlt, "mein
Mann" zu schreiben. Es ist allerdings genau so seltsam, immer "der
Kindsvater" oder andere Umschreibungen zu finden. De facto waren wir
verheiratet, wenn auch nur kurz und irgendwie nie so richtig...
**Heißt NICHT: Attachment parenting macht Eltern zu "guten" Eltern. Es heißt: Für mich und uns war es richtig und konnte vieles puffern und in die richtigen Bahnen leiten. Bedürfnisorientierung sollte die Eltern nicht vernachlässigen.]
**Heißt NICHT: Attachment parenting macht Eltern zu "guten" Eltern. Es heißt: Für mich und uns war es richtig und konnte vieles puffern und in die richtigen Bahnen leiten. Bedürfnisorientierung sollte die Eltern nicht vernachlässigen.]
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