Donnerstag, 11. Februar 2016

Ich heule. Vor Glück.

Die letzten wenigen Wochen und besonders die letzten Tage waren sehr bewegt und bewegend.

Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben wirklich auf den Rat anderer gehört und nun sieht es so aus, als ob eines zum anderen führt und all meine Träume wirklich wahr werden - ich verlängere mein Studium um ein Semester, kann dadurch die Masterarbeit etwas entstressen und noch mehr Berehnungen ausprobieren, mein Sohn hat in den Osterferien was von seiner Mama - und ich bekomme eine großartige Stelle als Hilfskraft in einer sehr, sehr interessanten Einrichtung. Und, wie es aussieht, danach eine Doktorandenstelle. Drei Tage hintereinander habe ich gute Nachrichten und Zusagen erhalten und das macht mich gerade völlig fertig. Gerade habe ich meinen ganzen Dank zu Papier gebracht und dabei liefen viele, viele Tränen.

So ganz kann ich es ja noch nicht glauben - erst, wenn ich die Verträge unterschrieben habe, weiß ich, dass ich das nicht alles geträumt habe. Aber ich habe so viel Vertrauen gewonnen, dass ich schon jetzt relativ sicher bin, dass alles gut geht. Das ist neu. Das ist gut. Ich glaube, da wartet ein ganz neues Lebensgefühl!

Donnerstag, 4. Februar 2016

Die Geburt meines Sohnes und deren Nachwirkungen



Als ich heute vor sieben Jahren aufwachte, war ich aufgeregt. Es war der 4. Februar 2009 und ich wartete nervös auf Wehen, die die Geburt meines Sohnes eröffnen würden. Der errechnete Entbindungtermin war überschritten, der Fruchtwasserstand niedrig und Tag für Tag musste ich mich im Klinikum vorstellen, um nach dem Rechten sehen zu lassen. Die Untersuchungen waren unangenehm und es war zudem bereits ein Versuch, die Geburt einzuleiten, missglückt. Man bereitete mich darauf vor, den Jungen per Sectio zu holen und ich war unglücklich, fühlte ich mich auf die Geburt so gut vorbereitet, war gespannt darauf und freute mich sogar auf die Herausforderung. Und natürlich war ich überzeugt, dass eine Geburt auf natürlichem Weg auf für mein Kind der beste Start ins Leben sein würde. Noch einen Tag hatte man mir gegeben. Die Aussicht auf eine operative Entbindung stresste mich massiv, mein Blutdruck war in Dimensionen, die sogar das Ziehen eines intravenösen Zugangs zu einem Abenteuer machten. Ich war verzweifelt, denn ich war noch nie auf einem OP-Tisch gelegen und hatte - abgesehen von der Nacht der fehlgeschlagenen Einleitung - auch noch nie in einem Krankenhaus geschlafen. Und da war mein Mann bei mir geblieben, weil ich sonst heimgegangen wäre.


Die Hebammen im Klinikum hatten mir Rhizinusöl abgefüllt; der Plan war, am Nachmittag einem Wehencocktail die Chance zu geben, die Wehen doch noch anzustoßen. Der Vater meines Sohnes hatte an diesem Tag Spätschicht und ich war allein, aber die Hebammen im Klinikum wussten Bescheid und ich hätte mir im schlimmsten Fall eben ein Taxi gerufen.


Ich schlief also noch ein Stündchen und gegen 15 Uhr trank ich das Gemisch und wartete. Um 18 Uhr grummelte es einmal kräftiger im Bauch, das war es dann. Um kurz vor 23 Uhr kam mein Mann* nach Hause und wir gingen bald schlafen. Ich war unruhig und griff auf ein alt bewährtes Mittel zurück, das aus langen Jahren regelmäßiger und teils massiver Schlafstörungen schon gut kannte: Hörspiele. Besonders Kishon hat es mir angetan und so lag ich im Bett und lauschte ausgewählten Kishon-Satiren zum Einschlafen.


Es war kurz vor Mitternacht, als ich in dem Zwicken in der Bauchgegend eine Regelmäßigkeit im Abstand von 10 Minuten feststellte, konnte aber nicht ganz glauben, dass das Wehen sein sollten. Ich rief im Krankenhaus an, wir fuhren hin und ich erfuhr, dass die Geburt begann.


Womit auch das Ende des schönen Teils der Geburt meines Sohnes endet.


Ich war auf alles vorbereitet gewesen, auf Schmerzen und Erschöpfung, aber ich hatte damit gerechnet, von einer Hebamme begleitet zu werden. Tatsächlich wurden mein Mann und ich mit nur wenigen Unterbrechungen allein gelassen. Viele Stunden war das auch okay, wir konnten uns beschäftigen, das Ganze war ja auch aufregend und spannend.  Als die Schmerzen heftiger wurden, fragte ich nach, ob es eine Alternative zur PDA gebe und erhielt einen Tropf, von dem mir mitgeteilt wurde, dass er aber nur die Spitzen der Schmerzen abpuffern könne. War auch so, aber mir ging es gut damit. Ich war entschlossen, die Schmerzen eben zu ertragen, als Teil des Geburtserlebnisses. Für irgendwas würde auch das gut sein.


Die Hebamme war sichtlich froh über eine so "unkomplizierte" Entbindende. Unkompliziert, ein Attribut, das mir schon mehrmals verliehen wurde und jedes Mal fluch(t)e ich innerlich, denn ich mag zwar immer bemüht sein, niemandem auf die Füße zu treten und mein Gegenüber im Blick zu behalten, bin aber gleichzeitig zutiefst sensibel und schlucke sehr viel herunter. Und oft bekomme ich dadurch vieles nicht, das ich eigentlich dringend bräuchte, denn man merkt es mir nicht an und ich sage auch nichts. Wie auch in den frühen Stunden des 5.2.2009.


Als ich an den Punkt kam, an dem ich doch einmal etwas sagte, war das nur, dass der Tropf leer sei und ob ich einen neuen bekommen könne. Die Antwort, die ich erhielt, war "Nein, zu viel fürs Kind und es kommt auch jeden Augenblick." - so ungefähr. Und natürlich dauerte es nicht lang, bis die Schmerzen unerträglich wurden. Das war der Moment, in dem ich weiblichen Beistand dringend gebraucht hätte.


Stattdessen teilte mir die Hebamme mit, sie habe nun Feierabend. Ich war völlig entsetzt. Wenig später stand die Ablösung vor mir, eine grobschlächtige, völlig fremde Frau, die mir lapidar mitteilte, ich könne jetzt mal anfangen zu pressen. Ich war völlig überfordert und hatte unglaubliche Angst.


Nach einigen Presswehen, die scheinbar nicht genug voranbrachten, verließ sie wortlos den Raum und kam mit Oberärztin, Kinderarzt inkl. Gerätschaften und mindestens einer weiteren Helferin zurück. Erklärt wurde mir nichts, und was dann folgte, machte den tollsten Tag meines Lebens zu einem Albtraum. Ich  habe es über mich ergehen lassen, die Augen zugemacht und war nicht ganz sicher, ob ich sie jemals wieder öffnen würde. Zu viert standen sie um mich herum und irgendwo hinter mir der Vater meines Sohnes und ich bin sicher, für ihn war das ein furchtbarer Anblick. Wie die Geburt dann vonstatten ging, kann ich nicht beschreiben, ich empfand es als gewaltvoll und demütigend.


Irgendwann spürte ich, dass mir etwas auf die Brust gelegt wurde und ich wusste, das war mein Kind. Es war schwer, nass und warm und ich brachte es nicht fertig, die Augen zu öffnen. Sekunden später war es auch schon wieder weg.


Bis heute weiß ich nicht, warum mein Kind so aus mir herausexorziert wurde. Ich stand unter Schock und war so dermaßen dankbar, dass wir noch lebten, dass ich nie danach fragte. Das Kind hatte später einen perfekten APGAR und war putzmunter, gefährlich oder kritisch war da jedenfalls nichts gewesen. Ich wollte es hinter mir haben, nach Hause und einfach vergessen.


Ich wurde wohl 45 Minuten versorgt, bevor man mich auf den Flur hinter einen Paravent (!) schob, wo ich mich dann bereit fühlte, mein Kind entgegenzunehmen. Ich verbrachte die erste Nacht im Krankenhaus und danach wollte ich heim. Ich hoffte auf die Unterstützung meiner Nachsorgehebamme, aber diese kam total gestresst bei uns an und machte das Ganze eher schlimmer, als besser.


So verlief also die Geburt meines Mutterseins. Und ich bin sicher, dass die Folgen dieses Geburtserlebnisses einen großen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte unserer Familie hatten. Ich will nicht sagen, dass wir ein besseres Paar gewesen wären; wir wären früher oder später sicher auch gescheitert und ich denke, dass früher in solchen Fällen besser ist. Aber ich hätte nicht ein (weiteres) schweres Trauma im Rucksack gehabt und wäre in vielen Dingen vielleicht etwas gelassener gewesen.


Heute morgen habe ich meinem Sohn, der aufgeregt seinem siebten Geburtstag morgen entgegenfiebert, wie jedes Jahr von seiner Geburt erzählt (die entschärfte Version!). Und wie jedes Jahr bin ich traurig, sobald ich alleine bin und über die Jahre, die wir nun gemeinsam hatten, nachdenke. Wie jedes Jahr habe ich dabei Tränen in den Augen.


Nicht, weil jetzt alles so "furchtbar" ist - das ist es nicht.


Ich betrauere die enttäuschte Hoffnung.


Wenn man ein Neugeborenes in dem Arm hält, ist alles, was man will, diesem neuen Leben alles zu geben, was es verdient, und nicht nur das Kind: Auch Eltern haben eine intakte Familie verdient. Und wir hatten so viel Hoffnung, hatten uns so gefreut. Und vieles haben wir gut gemacht und machen nach wie vor vieles gut.


Dennoch: Als mein Sohn 20 Monate alt war, lebten wir zwei bereits allein. Ich war ausgezogen, weil ich keine Hoffnung mehr hatte. Keine Hoffnung, dass wir uns jemals gegenseitig helfen könnten, unsere beider Rucksäcke zu tragen. Keine Hoffnung, dass wir jemals als Paar zueinander finden und uns vertrauen könnten. Keine Hoffnung, dass mein Sohn in einer intakten Familie großwerden würde. Die Hoffnung, dass ich eine intakte Familie haben würde.


Ziemlich bald nach der Geburt äußerte ich, dass ich ein zweites Kind haben wollte, "in fünf Jahren oder so...". Im Nachhinein wird mir klar, dass dieser Wunsch wohl vor allem daher rührte, dass ich auch gern unter schöneren Bedingungen ein Kind geboren hätte. Heute kann ich sagen: Ich würde gern meinen Sohn noch einmal - weniger gewaltsam - zur Welt bringen und ihn danach in Empfang nehmen, so wie ein Kind es verdient, wenn er mir auf die Brust gelegt wird.


Ich denke, der Wunsch nach Kompensation bedingt vieles von dem, wie ich empfinde und handle. Es sind Schuldgefühle, die ich im Rucksack habe.


Die Angst, mein Sohn könnte Schaden nehmen oder unglücklich werden, hat mich aber vielleicht auch zu einer guten Mutter werden lassen. Dass mein Bauchgefühl mich zu dem, was man gemeinhin als "attachment parenting" versteht**, geleitet hat, liegt sicher auch daran, dass ich ihm durch meine Schuldgefühle alles an Liebe angedeihen lassen wollte, was ich habe. Dass ich selbst mit Liebe großgezogen wurde, hat damit aber sicher auch viel zu tun. Und so waren die Bedürfnisse meines Kindes immer das Allerwichtigste und mir tat die Nähe zu ihm auch gut. An dieser Stelle muss ich aber auch sagen, dass sein Vater ein großartiger Partner in Sachen attachment parenting war. Und auch jetzt bei seinem zweiten Kind immer noch ist, das weiß ich aus Erzählungen meines Sohnes.


Ich habe kein zweites Kind bekommen. Und wie es aussieht, werde ich auch kein weiteres Kind mehr bekommen. Ich habe viel dafür geopfert, mein Studium trotz der widrigen Umstände durchzuziehen, vor allem Zeit mit meinem Kind. Weil ich hoffe, dass es uns wenigstens wirtschaftlich besser gehen wird, wenn ich ein abgeschlossenes Studium habe, und, weil ich ihm selbst den Weg ebnen will, dass ihm später alle Türen offen stehen. Ich bin seine primäre Bezugsperson und ich möchte ihm ein Vorbild sein. Und nun, mit 38 Jahren, wird die Zeit knapp.


Andere Alleinerziehende haben andere Prioritäten - zum Beispiel, möglichst bald wieder eine intakte Stief-/Patchworkfamilie herzustellen und das ist auch gut und richtig!


Für mich gab es diese Alternative vor allem am Anfang nicht; nach vielen traumatischen Jahren (schon bevor ich den Vater meines Sohnes kennenlernte) brauchte ich vor allem eins und das war Stabilität. Und somit auch eher eine stabile, teilweise ziemlich miserable Lage, als eine erneute hoffnungsvolle Runde "trial and error".


Ich hadere oft mit meinem - nein: unserem Werdegang. Ich bin nun genau 38,5 Jahre alt und baue auf Karriere. Gedanken an einen zweiten Versuch "Familie" verdränge ich, es ist wohl das Beste. Und mein Sohn hat jetzt ja wenigstens eine kleine Schwester, die er heiß und innig liegt. Aber ich weiß, dass der Junge sich im Alltag nach einer Familie sehnt, die mehr Personen umfasst, als nur ihn und mich.


Morgen feiern wir seinen Geburtstag. Wie jedes Jahr bin ich im Stress. Seit 2011 waren es die Klausuren Anfang Februar, dieses Jahr ist es die Masterarbeit. Ich denke dabei an meine eigenen Geburtstage und wie sehr ich den schönen Geburtstagtisch und den Kuchen geliebt habe. Und natürlich die Geschenke. Und auch  mein Sohn liebt seinen Geburtstag und er wird immer gebührend gefeiert. Dieses Jahr fällt er auch einen Freitag und wie feiern quasi das ganze Wochenende, mit meiner Mutter und mit meinen Freunden. Kindergeburtstag wird bei uns der 1/2 gefeiert, im August, wo man rausgehen kann.


Und nun backe ich Kuchen und kaufe Geschenkpapier.


[*An dieser Stelle möchte ich bemerken, wie komisch es sich anfühlt, "mein Mann" zu schreiben. Es ist allerdings genau so seltsam, immer "der Kindsvater" oder andere Umschreibungen zu finden. De facto waren wir verheiratet, wenn auch nur kurz und irgendwie nie so richtig...
**Heißt NICHT: Attachment parenting macht Eltern zu "guten" Eltern. Es heißt: Für mich und uns war es richtig und konnte vieles puffern und in die richtigen Bahnen leiten. Bedürfnisorientierung sollte die Eltern nicht vernachlässigen.]