Donnerstag, 14. Januar 2016

Ein Posting der anderen Art

Vorhin auf Twitter gelesen: "So früh im Jahr hatte ich noch nie die Schnauze voll." - das musste ich gleich retweeten, denn mir geht es genau so.

Ich schätze, dieses Posting wird in keine meiner üblichen Themen-Kategorien passen, denn eigentlich blogge ich über meinen Alltag als Single-Mama, die sich auch noch in den Kopf gesetzt hat, zumindest eine halbe wissenschaftliche Karriere aufs Parkett zu legen und es wenigstens noch bis zur Promotion und ein paar Jahren wissenschaftlicher Mitarbeit schaffen (denn alles darüber hinaus ist in meinem zarten Alter von 38,5 Jahren schlicht und ergreifend eine Illusion) - und als ob der Stand meiner Masterarbeit zum momentanen Zeitpunkt nicht schon frustierend genug wäre - ich mache mir selbst so absurd viel Stress, dass ich überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen kann - kommt 2016 mit einer beschissenen Nachricht nach der anderen. Ja, ich schreibe das jetzt einfach so: Beschissen, denn warum sollte man hässliche Ereignisse und traurige Nachrichten mit schönen Worten benennen?

Ohne auf die einzelnen Ereignisse einzugehen - jeder weiß, welche Themen die Medien derzeit füllen - Todesfälle wirklich großer Künstler, islamistische sowie rechte Anschläge und Straftaten, falsche Alarme, überforderte Politiker und Menschen - die ersten zwei Wochen des neuen Jahres hinterlassen ein beklemmendes Gefühl und lassen nichts Gutes ahnen.

Meist gelingt es mir, mich emotional von diesen Dingen zu distanzieren, aber eben nicht immer. Gerade, wenn der Stress groß ist, fällt es mir ungleich schwerer, mich nicht herunterziehen zu lassen. Diese Tage bin ich stimmungsmäßig absolut unten. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich zu den jüngsten Ereignissen auch mehr Bezug habe. Junge Menschen wurden auf einem Konzert getötet - gut, so richtig jung bin ich nicht mehr, aber ich gehe demnächst auf ein Konzert und kann mich gar nicht mehr so richtig darauf freuen. Und das auch noch in München, wo am Silvesterabend alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um einen angeblich geplanten Anschlag zu verhindern. Gleichzeitig wurden in Köln - und nicht nur dort - massig Frauen sexuell genötigt, ausgeraubt oder vergewaltigt; einer Stadt, in der ich im September erst drei wundervolle Tage ganz für mich allein hatte und eine kriminologische Fachtagung besuchte. Und nun Istanbul, der Stadt, aus der drei liebe Freunde mir im Dezember und Januar mit vielen Fotos eine Freude gemacht haben; Freunde, die ihre Familien dort besuchten und zwei davon kamen nur wenige Tage vor dem Anschlag in der Nähe der Blauen Moschee von ihrer Reise zurück.

Ich hatte ihnen einen kleinen Stofflöwen (das Findelkind, von dem ich in einem anderen Beitrag berichtete) mitgegeben, damit er etwas von der Welt sehe und sie auf jeden Fall wieder nach Hause kommen müssten - ein kleiner Aberglaube, aber auch lustig, denn sie sollten ihn an allen möglichen Orten fotografieren und mir die Bilder schicken. Und so erhielt ich am 29.12. dieses Foto:


Ja, das alles zieht mich runter. Ich frage mich, was da noch alles kommt und denke an David Bowie und Alan Rickman, die beide gerade im Alter von 69 Jahren viel zu jung gestorben sind und frage mich, was die beiden wohl nun alles nicht mehr erleben werden - erleben müssen? Ja, an manchen Tagen fühle ich mich, sicherlich bedingt durch die Gesamtsituation, in der ich gerade stecke, einfach nur noch danach, mir die Decke über den Kopf zu ziehen...

Und so ein Tag ist heute.



Mittwoch, 6. Januar 2016

290.000 Zahlen oder: Willkommen in der Matrix.

An der Raffinesse des ursprünglichen Titels, den ich für mein erstes Posting im neuen Jahr gefunden habe ("Lagebericht"), kann man erahnen, in welchem Zustand ich mich gerade befinde - meine Kreativität stellt sich derzeit als eine Nulllinie dar, begleitet von einem gleichbleibenden Summton. Das heißt aber nicht, dass es mir schlecht geht - aber es ist so kurz vor knapp, dass ich mich in eine Art meditatives Exil zurückgezogen habe. (Da ist es schon wieder - Exil.)

Die letzten Wochen zeichneten sich durch eine totale Blockade aus, die sich aus meiner heillosen Überforderung ergibt, die Theorie für meine Masterarbeit rund zu bekommen und dabei keinen Zusammenhang zu unterschlagen, dabei aber einen Schwerpunkt zu finden, auf den ich mich konzentrieren kann, das dafür passendste der vielen Modelle zu finden, hierfür auch die Literatur aufzutreiben und dann einen roten Faden hineinzubringen, der alles nachvollziehbar und flüssig verbindet. Und das ist eine  ziemliche Katastrophe, denn eigentlich sollte die Theorie bis dato schon geschrieben sein - was sie auch ist, nur nicht so, dass ich etwas davon verwenden könnte. Viel zu komplex, viel zu breit. Ja, es macht sich Panik breit.

In diesen Zustand platzten dann die Feiertage, die ich zwar irgendwie genießen konnte, aber wie das halt so ist mit der Verdrängung: Man bekommt es potenziert zurück: Die letzten Tage hatte ich entweder bereits vor dem Aufstehen morgens Kopfschmerzen oder ich wachte nach 4 Stunden Schlaf zwischen 4.30 Uhr und 5.30 Uhr auf und war hellwach - und da fällt mir eben mal nichts anderes ein,, als mich direkt an den Schreibtisch zu begeben. Als sich nun auch noch erneut Halsschmerzen und dicke Lymphknoten ankündigten, reichte es mir und ich habe mir massivst die Bremse reingehauen. Wenn mein Sohn da war (und das war nicht oft der Fall, er durfte einen großen Teil der Ferien bei seiner Omi genießen) ging auch ich ins Bett, wenn er schlafen ging, und da er in solchen Zeiten, in denen er fast ständig weg von mir ist, gern bei mir einschläft, zwang mich das zur Ruhe. So lagen wir um 20 Uhr in den Federn, hörten Satiren von Kishon an und ratzten dabei beide in Nullkommanichts weg - die elf Stunden Schlaf waren Gold wert...

Ansonsten strukturiere ich meinen Tag gerade durch Rituale und viel, viel Achtsamkeit - auf meine Art, und ich merke, wie entspannt, konzentriert und effektiv ich seitdem arbeiten kann.

Nur nicht an meiner Theorie - dafür an der Statistik. Und ich liebe es! Ich schreibe zwar gern, aber zum Theorie-Schreiben gehört halt auch Lektüre und ich habe große Probleme, konzentriert Texte wirklich zu lesen. Ich lese auch seit Jahren privat fast gar nicht mehr. Texte scannen und Tabellen erfassen, das kann ich. Aber von dem, was ich eigentlich noch lesen müsste, fühle ich mich erschlagen und bei der Recherche komme ich immer vom Hundertsten ins Tauendste. Ich werde nie, nie fertig. Aber Tabellen, Zahlen - traumhaft. Mit sowas kann ich arbeiten.

Und so habe ich mir nun meinen finalen Datensatz gezogen - an die 290.000 Zellen und ebenso viele Zahlen hat die Tabelle, mit der ich arbeite. Daten von ca. 850 Müttern. Aktuell bereite ich die Daten noch auf.  Transformiere die Variablen, berechne neue (vor allem betrifft das die Gesamtskalen) und bügle Fehler aus, die ich bei der Erstellung der Umfrage natürlich auch gemacht habe. Ich tauche ab in meine riesige Tabelle und bin glücklich, weil mir das alles leicht von der Hand geht.

Dabei passiert aber etwas anderes. Ich sehe ja auch die Daten und kenne die Variablen und Werte wie meine Hosentasche. Dadurch werden für mich meine Probandinnen alle sichtbar. Ein Freund hat mir, als ich davon erzählte, das passende Bild dafür in Erinnerung gebracht:



Der Moment, als im Film "Matrix" Neo zum ersten Mal die Matrix sehen kann bzw. erkennen kann, was sie kodiert.

Bei mir sieht das Ganze übrigens so aus:

 

So ähnlich wie Neo in der Matrix geht es mir - ich sehe im Datensatz meine Probandinnen. Sie sind - für mich - eben nicht nur eine laufende Nummer, sondern Frauen, die unheimlich viel leisten und teilweise auch ertragen müssen. Wie viele haben angegeben, ständig unter Schmerzen zu leiden oder völlig isoliert zu sein. Wie viele offene Antworten zeigen mir die Schicksale - frische Trennungen, verlorene oder sehr kranke Kinder.

Das berührt mich sehr und macht mich gleichzeitig dankbar und stolz, dass sie sich trotzdem die Zeit genommen haben, mir zu helfen.
Die Frauen, die ich in meinen Daten sehe, sind ein großer Ansporn, meine Arbeit gut zu machen und zu versuchen, im Anschluss weiter zu gehen - eine Projektidee habe ich schon und/oder ein Thema für eine Dissertation.

Aber eins nach dem anderen. Jetzt heißt es erst einmal: Nicht die Nerven verlieren und gesund bleiben, um mein Masterstudium zu einem guten Ende zu bringen.

Mittlerweile hat sich aber wenigstens ein Fünkchen Kreativität geregt. Mein neuer Titel klingt wesentlich origineller, finde ich. Das lässt hoffen.