Sonntag, 20. März 2016

Das lange gefürchtete Posting

Aus aktuellem Anlass.

Ich weiß nicht, ob es aus meinen Postings ersichtlich wird: Ich versuche, meine Schilderungen und Texte über das Leben als Alleinerziehende immer recht wenig emotional, dafür umso pragmatischer und optimistischer zu halten.

Wie ich schon einmal andeutete, ist das Alleinerziehendsein nicht unbedingt etwas, das überhaupt nicht zu mir, zu meiner Persönlichkeit "passt". Warum - das ist ein Thema, über das ich mich lang und breit auslassen könnte. Trotzdem ist es keine "selbst gewählte" Lebensform von mir.

Die Entscheidung, mich vom Vater meines Sohnes zu trennen und mit meinem Kind alleine zu leben, habe ich mir nicht leicht gemacht. Wahrscheinlich hätte es andere Frauen gegeben, die in einer vergleichbaren Situation geblieben wären, aber für mich gab es keine Alternative. Mich hat meine Entscheidung lang, lange geplagt. Auch heute kann ich mich nicht immer gut von den mit dieser Entscheidung verbundenen Gefühlen distanzieren.

Aber ich ziehe es eben durch. Und dazu gehört, dass ich mit meiner Situation nach Möglichkeit nicht hadere. Das hat sicherlich vielerlei Gründe, in denen sich meine Ambivalenz wiederspiegelt:

Einer davon ist, dass ich - das habe ich sicherlich auch schon irgendwann einmal ausgeführt - wie viele andere Alleinerziehende auch nicht genügend Abstand zu meinen Schuldgefühlen habe. Man kann - leider - auch hinter seiner Entscheidung stehen und trotzdem Schuldgefühle haben! Sie dominieren mich nicht, aber so ein kleines Hintergrundrauschen werde ich wohl noch länger mit mir herumtragen. Ich jammere nicht gern, das heißt, meine Schuldgefühle verbieten es mir, mich zu beklagen. Ein weiterer Grund ist, dass es mich in einen maximalen Dissonanzzustand brächte - eine ziemlich sinnlose Sache. Die Situation ist, wie sie ist, und so nehme ich sie an. Ich feiere sie nicht, aber ich möchte auch nicht unzufrieden sein.

Im Großen und Ganzen habe ich es sicherlich geschafft, mich für die positive, starke, optimistische Seite zu entschieden und diese auch nach außen zu transportieren. Ich habe schön öfter mal gehört, dass ich so eine "starke Frau" (oder, mein absolutes persönliches Un-Wort: "Powerfrau") sei. Ich mag diese Schublade nicht, aber gut. Ich denke, es ist nett gemeint. Nun passiert es aber doch manchmal: Dass ich an einem Punkt ankomme, an dem mir das Alleinerziehen zu viel ist. Tage, an denen ich maximal unglücklich bin und alle möglichen negativen Gedanken über Tage hinweg konzertiert mein Wohlbefinden bombardieren und ich völlig erschöpft und vor allem verzweifelt bin.

Ich bin niemand, der viel klagt. Klar bin ich ehrlich und sage durchaus, dass ich im Stress bin, aber das war's meistens auch schon. Manchmal kann ich mich überwinden und heule mich bei vertrauten Menschen aus, aber bei den meisten Personen aus meinem Umfeld ist es dennoch so, dass ich mich, wenn es mir wirklich schlecht geht, vor ihnen lieber zurückziehe, bis es mir besser geht. In meinem unmittelbaren Umfeld sind alle Mütter mit den Vätern ihrer Kinder zusammen. Das ist ein ganz anderer Planet.

Und nun kommt der Moment, den ich so fürchte. Der Teil meines Posting, auf den ich so lange hin gearbeitet habe. Ein Thema, das ich immer, immer vermeiden wollte, weil es andere oft genug sagen und ich mich standhaft geweigert habe, auch nur ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren, weil ich nicht missverstanden werden oder es mir gar mit anderen Frauen verscherzen will. Und nun schreibe ich es doch.

Manchmal lässt es sich nicht vermeiden, zu erzählen, dass es einem eine Zeit lang richtig doll schlecht ging. Und das Schlimmste, wirklich: Das aller-allerschlimmste, falscheste, unpassendste und gefährlichste, was darauf hin entgegnet werden kann, ist, dass man selbst die Situation "kennt" bzw. diese Probleme auch hat.

Ich glaube, es gibt keine alleinerziehende Frau, bei der in so einem Moment nicht eine Million innere Sprengsätze explodieren. Bei mir führt das dann dazu, dass ich gar nicht mehr in der Lage bin, auch nur halbwegs adäquat zu reagieren. Bei fremden Müttern kann ich mit sowas viel besser umgehen, als mit Menschen, die mir nahe stehen. Da versuche ich, gar nicht zu reagieren - aber irgendwann geht das nicht mehr. Darum versuche ich es nun hier und jetzt.

Das Leben ist mehr als eine Aneinanderreihung von Tagen, die sich aus Zeiteinheiten zusammensetzen und ein Alltag ist kein modularisierter Bausatz, bei dem Alleinerziehende in einzelnen Modulen ein technisches Problem haben. Es sind nicht einzelne Stunden, in denen wir eine abgewandelte Version des Lebens gepartnerter Mütter haben. Es sind auch nicht nur einzelne Situationen, die für uns schwieriger sind.

Was uns von Frauen mit Partner unterscheidet ist, dass wir 24/7 die alleinige Verantwortung haben. Mir ist klar, dass in den meisten Partnerschaften die Frauen den größeren Anteil an der Versorgung und Organisation im Zusammenhang mit den Kindern übernehmen - meist wird ja doch eher eine klassische Rollenaufteilung gewählt, in der ein Partner einer Vollzeittätigkeit nachgeht, die die Grundsicherung der Familie gewährleistet, und der andere Teil, mehr oder weniger freiwillig, eine Teilzeitstelle hat, die den Wohlstand sicherstellt - und eben den Alltag mit Kindern wuppt. Dazu gehören sicherlich auch jede Menge Querelen mit dem Kind, eine Menge Ärger, Verletzungen und Enttäuschungen. 

Nur: Selbst, wenn der Mann nicht dauerpräsent ist: Partnerschaft bedeutet auch gemeinsame Verantwortung. Verantwortung füreinander und miteinander. Verantwortung hat nichts mit der Quantität gemeinsamer Zeit zu tun, sondern mit der Art der Beziehung. Diese gemeinsame und gegenseitige Verantwortung ist das, was eine gepartnerte Mutter immer hat, worauf sie sich immer verlassen kann. 

Ich fühle mich irgendwie verpflichtet, auch kurz auf die Frauen einzugehen, die an dieser Stelle denken, dass ihr Mann überhaupt keine Verantwortung übernimmt und sie eher belastet, als auch nur ansatzweise zu unterstützen - ich glaube, von diesen gibt es viele. Und diese Frauen meine ich ganz klar nicht.

In guten, intakten und vor allem gemeinsam ausgehandelten Partnerschaften aber ist eine Mutter eben nicht allein verantwortlich. Und selbst, wenn ihr Partner an vielen Abenden spät nach Hause kommt, so kann sie sich darauf verlassen, dass er grundsätzlich da ist.

Da ist, wenn sie an einem Punkt ist, wo das Kind sie in die Verzweiflung treibt - und dann ein zweiter Mensch da ist, der sich an der Erziehung beteiligen kann (und das hoffentlich dann auch tut!)

Da ist, wenn sie sich Sorgen macht und er sie beruhigt.

Da ist, wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen.

Und: In den meisten Fällen sichert er - oder eben einer von beiden - die Existenz. Ein zweites Einkommen sichert den Lebensstandard, einen Standard, von dem man als alleinerziehende Frau nicht mal mehr träumt: Eigenheim, optimalerweise groß mit irgendwas Grünem, Auto, Urlaub, Hobbys.

Gerne wird ja darauf hingewiesen, dass der Partner "auch nicht immer da" sei, viel arbeite... aber selbst, wenn er in einer kritischen Situation nicht sofort da ist, so kommt er irgendwann nach Hause. Sie kann sich darauf verlassen, dass er irgendwann nach Hause kommt und dass das nicht eine freiwillige Extraleistung ist, sondern der Teil seiner Verantwortung, die er übernommen hat. Nicht zuletzt, weil er sie liebt und auch ein Interesse daran hat, sie als Partnerin zu behalten.

Die Bindung zwischen Eltern und Kind stellt für das Kind die Basis dar, auf der es seine Umwelt erkunden kann; sie ist das absolute Vertrauen, dass es einen sicheren Hafen gibt, zu dem man immer wieder zurückkehren kann und in dem man mit offenen Armen empfangen wird. Damit wird auch der Grundstein gelegt für die Bindungen, die wir als Erwachsene eingehen und wenn alles gut läuft, erfahren wir eine ähnliche Sicherheit in der Beziehung mit dem Partner. In einer intakten Partnerschaft hat man ein gewisses Maß an Sicherheit; diese Sicherheit macht den Großteil der Existenzberechtigung langjähriger Paarbeziehungen aus, sie ist Sinn und Zweck einer solchen Bindung. Man verhandelt gemeinsam, man plant gemeinsam und man (er-)trägt gemeinsam. 

Ich habe das große Glück, Menschen in meinem Umfeld zu haben, die ihr möglichstes tun, um mich zu unterstützen. Abgesehen davon, dass rein quantitativ meine Verwandtschaft so gut wie all das abdeckt, was normalerweise der getrennte Vater übernehmen sollte (was in der praktischen Umsetzung bei uns schwierig ist), weiß ich, dass ich anderen am Herzen liege und erfahre viel Zuwendung.

Und trotzdem gibt es nichts - nichts - was das Vorhandenseins eines Mitverantwortlichen im Alltag ersetzt. Solange man kein Netz hat, keinen doppelten Boden, keinen sicheren Hafen - ist jede Hilfe, jede Zuwendung, jede Unterstützung, etwas von relativ kurzer Halbwertszeit.

Es sind Dinge, die mein Funktionsniveau aufrecht erhalten, aber sie tragen nichts zur Entschärfung der Gesamtsituation bei. 

Auch nicht die regelmäßigen "freien" Abende, die ich habe und die mir tatsächlich schon einmal als "Vorteil", den ich als Alleinerziehende durch die Unterstützung meiner Mutter habe, unterbreitet wurden - weder gehe ich dann aus, noch schlafe ich am nächsten Tag bis in die Puppen. Häufig vermisse ich mein Kind sogar, wenn er nicht bei mir ist. Ganz, ganz selten sind es mal zwei Nächte am Stück, die ich "frei" habe - und noch seltener erlaube ich mir, solche Zeiten nicht auszunutzen, um ohne gestört oder unterbrochen zu werden zu arbeiten. Wenn ich das nicht mache, dann nur, weil ich so erschöpft bin, dass ich nicht mehr kann. Das ist dann das, wenn andere Urlaub nehmen- eine Zeit, die viele gepaarte Menschen nutzen, um mit ihrer Familie wegzufahren und sich ein, zwei Wochen so richtig zu entspannen, zu regenerieren und es sich gut gehen zu lassen. Eine Sache, die man sich als partnerlose Mutter so ziemlich abschminken kann.

Nein, es gibt nichts, aber auch gar nichts, was es rechtfertigt, die Situation einer Mutter mit vielbeschäftigtem Ehemann in die Waagschale zu werfen, wenn eine partnerlose Mutter erzählt, dass sie vor ein paar Tagen so fertig war, dass sie eine Stunde durchgeheult hat. Alleinerziehend zu sein ist wie im Alltag nur einen Arm haben. Da ist auch das verstauchte Handgelenk beim Zweiarmigen kein adäquater Vergleich. Diesen Unterschied kann man nicht wegdiskutieren.




Meinen Freundinnen und all den gerpartnerten Müttern da draußen gönne ich von Herzen, dass es ihnen besser geht. Ich lasse mir gern von ihren Urlauben erzählen und von den Arbeiten an ihren Häusern, dem neuen Auto, den Ausflügen, dem zweiten und dritten Kind, der Beförderung oder der Auszeit, die sie sich von der Arbeit nehmen, von den Hobbys der Kinder - es sind ihre Lebensentwürfe, sicher ist nicht alles optimal und vieles davon ist mir fremd; manches (z. B. die Haushaltsilfe) hätte ich auch gern, anderes wiederum nicht.

Ich bin für sie froh, dass sie keine Ahnung haben, wie sich die Lage als alleinverantwortliche, alleinerziehende Mutter anfühlt, die sich nur selbst stützen kann, die kein "Wir schaffen das schon!" kennt. Wie es ist, wenn es vorne und hinten fehlt und man sich nur wünscht, mal ein kleines bisschen Sicherheit zu haben. Wenn man sich mehrmals die Woche fragt, was eigentlich passiert, wenn man es nicht schafft, sich aus dieser Lage herauszumanövrieren, und wenn man regelmäßig das Gefühl hat, mit seiner psychischen und körperlichen Kraftaufwendung am Anschlag zu sein. Viele erinnern sich vielleicht an die Zeiten als Single und wie einem da ein gewisser Rückhalt fehlen kann - mit Kind geht es noch einen Schritt weiter und es steht viel, viel mehr auf dem Spiel, wenn ein Kind in einer solche prekären Situation groß wird.

Nur eins wünsche ich mir: Dass sie ein wenig versuchen, sich in meine Lage zu versetzen und sich vorher überlegen, ob gerade ein guter Moment ist, mir ihre Sorgen zu präsentieren, die für mich in manchen Momenten einfach nur wie Luxusprobleme wirken. Ich möchte eine gute Freundin sein, die ein offenes Ohr für ihre lieben Menschen hat. Wenn ich mich schon überwinde zu sagen, dass es mich gerade sehr doll beutelt, dann wäre es lieb, wenn ich mir im nächsten Atemzug nicht anhören muss, dass es auch mit Partner manchmal schwer ist. Dafür verspreche ich hoch und heilig: Wenn mir eine Frau erzählt, dass sie mit ihrem Partner nur noch Streit hat, er sie schlecht behandelt und sie jeden Abend in ihre Kissen weint, werde ich tunlichst vermeiden zu sagen:
"Ohne Partner ist es aber auch ganz schön hart."


Donnerstag, 17. März 2016

Zeit für einen Brief

Liebe Alleinerziehende,

aus gegebenem Anlass habe ich heute Lust, einen Brief zu schreiben, an Dich, an Euch, an uns alle. 

Seit ein paar Tagen bin ich ziemlich unfit und nachdem ich die ersten Symptome stur ignorierte und trotzdem jeden Tag in der Gegend herumflitzte, Termine wahrnahm und dabei noch meinen dringenden Nachholbedarf an Bewegung in der frischen Luft decken musste, hat es mich nun so richtig niedergestreckt.

Ihr kennt das. Krank werden geht gar nicht. Zu den am meisten gefürchteten Vorboten der Apokalypse Alleinerziehender ist ein krankes Kind, aber die Steigerung ist, wenn man selbst krank ist. 

Ein paar Erkrankungen habe ich in den letzten sieben Jahren zu fürchten gelernt, ganz vorne an das Noro-Virus und Streptokokken, letztere bescherte uns vor zwei Jahren  im Winter ein ausdauerndes Krankheits-Ping-Pong und jeweils insgesamt drei Wochen Antibiose. Nicht zu vergessen, dass ich, seit ich alleinerziehend bin, durchschnittlich einmal im Jahr dank einer Kehlkopfentzündung stummgeschaltet bin. 

Als wir es mit dieser Streptokokkeninfektion zu tun hatten, war ich völlig verzweifelt. Ich hatte furchtbare Schmerzen, mein Sohn auch, und sobald wir mit der Antibiose durch waren, hatten wir es zwei Tage später wieder. Ich war völlig zermürbt.

Ich erzähle das, weil ich heute einen Moment hatte, der mich trotz Krankheit froh gemacht hat. Ich habe mich an das Interview erinnert, das Alexandra Widmer mit mir geführt hat, in dem wir uns einig waren, dass eines ganz wichtig ist, nämlich das Wissen darum, dass es vorbei geht.

Heute morgen konnte ich kaum sprechen, schleppte mich in die Küche, schmierte meinem Sohn seine Butterbrote und verkroch mich umgehend ins Bett zurück. Der Junge hat sich selbständig angezogen, allein gegessen, sich seine Zähne geputzt und war nach 15 Minuten mit allem fertig (was an ein Wunder grenzt, denn er ist jemand, der sich für alles seeeehr viel Zeit nimmt). Und dann ist er nochmal für eine Weile im Bad verschwunden. Ohne, dass ich ihn erinnern musste, wusch er sich danach die Hände. 

Ich lag im Bett und brauchte ein Glas Wasser - dann kam mir die Eingebung: Moment, das kann doch... :) - ich rief meinen Sohn um zu fragen, ob er mir ein Glas Wasser bringen könnte und bekam sofort ein "Natürlich!" - und dann konnte ich mir ein "Mit Strohhalm, bitte!" nicht verkneifen und bekam auch den.

Das war ein Moment! Ihr kennt das, oder? Wenn man jahrelang eigentlich nur damit beschäftigt ist, den kleinen Erdenbürger zu bedienen, sich um alles zu kümmern und selbst seit Jahren niemanden daheim hat, der einem selbst Fürsorge zukommen lässt, kann das schon etwas sehr Besonderes sein. Nicht, dass mein Sohn gar nichts daheim machen muss - klar fange ich auch damit an, ihn im Haushalt mit einzubeziehen, aber das läuft halt meist unter: Wenn Du mir hilfst, bin ich schneller fertig und kann dann auch früher mit Dir ein Spiel machen

Dieses Erleben von Fürsorge heute war für mich ein ganz großer Meilenstein. (Für meinen Sohn auch, er hatte sein Highlight, als er mir danach noch das Fieberthermometer in den Mund stecken durfte.) Und ich könnte lange und breit darüber schreiben, was mir im Zusammenhang damit noch so alles klar wurde, aber meinen Brief schreibe ich aus einem anderen Grund, und der ist, dass mir das "Es geht vorbei!" wieder einmal so klar wurde. 

Denn einiges, das ich vor wenigen Jahren noch ganz furchtbar fand, ist vorbei gegangen:

Das erste Jahr, in dem ich alle möglichen Befürchtungen hatte, wie das zwischen dem Vater meines Sohnes und uns so laufen wird, ist vorbei gegangen.

Die Nächte, in denen ich mindestens fünfmal geweckt wurde, sind vorbei gegangen.

Die Semester, in denen ich immer wieder bangte, ob ich wohl in Seminare komme, die sich mit den Betreuungszeiten meines Sohnes verbinden lasse, sind vorbei gegangen.

Die stressigen Phasen, vor allem die Klausurenzeiten, die mich jedes Mal an meine Grenzen brauchten und in denen ich von einem schlechten Gewissen geplagt wurde, sind vorbei gegangen.

Die Jahre in dem hässlichen, dreckigen und miefigen Haus, in einer Wohnung, in der alles auseinanderfiel, sind vorbei gegangen.

Die Zeiten, in denen ich mich einsam und völlig isoliert fühlte und wochenlang kaum mit anderen Erwachsenen ein Wort wechselte, außer mit der Kassiererin im Supermarkt, sind vorbei gegangen.

Die ersten Wochen, in denen mein Sohn alleine seinen Schulweg zurücklegte und ich heimlich hinterher schlich, weil es mir so schwer fiel, ihn alleine losgehen zu lassen, sind vorbei gegangen.

Mittlerweile kann ich ihn sogar eine Stunde allein daheim lassen. Ich stehe kurz vor meinem Abschluss und auch unsere finanzielle Situation wird sich wohl demnächst zumindest ein wenig verbessern. 

Was ich damit sagen will: Natürlich ändert sich nicht alles von allein zum Besseren. Aber die Zeit arbeitet immer für uns. Die Kinder werden größer und damit erobern wir uns unsere Freiräume zurück. Gerade ist mir klar geworden, dass mein Sohn sogar schon in ein Alter kommt, wo man nicht mehr nur Kleinkinderfilme mit ihm anschauen kann (auch, wenn er nach wie vor eine erklärte Schwäche für Pocoyo hat, den ich auch ganz entzückend finde). Beim Papa durfte er sogar schon Star Wars anschauen, und scheinbar (*zwinkert allen Müttern zu, die es nicht verhindern konnten, dass ihr Kind damit angefixt wird*) hat es ihm gefallen. Freitags gehen wir am Abend zusammen außer Haus essen - ok, billig und dafür nicht hochwertig, aber das Ausgehen zählt. Wir haben 2015 einen gemeinsamen Urlaub gemacht und haben in sieben Tagen vier Orte in Holland erkundet und dabei eine liebe Freundin besucht, die ich jahrelang nicht gesehen hatte. 

Ich habe in meinem Leben schon wesentlich Schlimmeres erlebt, als alleinerziehend zu sein. Daher wusste ich schon, dass alles einmal vorbeigeht. Bestimmt werden wir die Folgen des Alleinerziehens unser Leben lang spüren. Ich sage nur Rente und Gesundheit. Natürlich denke ich darüber nach. Schon jetzt überlege ich hin und her, wie ich einmal würdevoll altern kann. Da ich noch nie mehr hatte, als ich wirklich brauchte, mir eigentlich noch nie regelmäßig Urlaub leisten konnte und auch kein Auto, wird es nichts Neues für mich sein, wenig Geld zu haben. 

Es gibt ein christliches Gebet, das ich auch als nicht-Christin sehr zu schätzen weiß und das ich an dieser Stelle zitieren möchte:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
  den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

  und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Wikipedia zitiert eine längere englischsprachige Version:

God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
  Courage to change the things I can,

  And wisdom to know the difference.

  Living one day at a time,

  Enjoying one moment at a time,

  Accepting hardship as a pathway to peace, (...)

Ich denke, damit können auch anders- oder nichtgläubige Menschen etwas anfangen: Es gilt, zu unterscheiden, was man ändern kann und was nicht. Manches ändert sich auf wunderbare Weise von selbst.

Über das Ändern könnte ich weitere lange Seiten füllen - aber das lasse ich an dieser Stelle. Was ich hier und heute unbedingt sagen wollte war einfach: Es geht vorbei. 

Alles geht vorbei. Nicht alles geht spurlos an einem vorbei, aber das Meiste wird besser. Es wird nicht optimal. Es wird nie so sein, als ob wir nie durch diese harten Zeiten gegangen wären. Aber wir können uns arrangieren.

Liebe andere Alleinerziehende, vertraut darauf, dass es besser wird, wenn ihr mal richtig durchhängt. Manchmal geht es einfach nur ums Aushalten, aber irgendwann ist es geschafft. 

Und selbst, wenn niemand sonst für uns arbeitet: Die Zeit arbeitet immer für uns. Sagt Euch das immer wieder.


Donnerstag, 10. März 2016

Regretting WTF?!

Wow. Ein neues Schlagwort erobert die Medien. Nach Attachment Parenting, Langzeitstillen, Vereinbarkeit, Helikoptermutter und was-weiß-ich sind wir nun bei Regretting Motherhood. Heute ist mit der x-te Artikel dazu in die Finger gekommen.

Ich hatte nicht unbedingt vor, Mutter zu werden. Die Vision "Mutter, Vater, Kind(er)" als erklärtes Lebensziel war mir eigentlich immer fremd. Ich war einer dieser jungen Menschen, die eigentlich gar keine Ziele im Leben hatten. Ich wollte (irgend)etwas "Sinnvolles" machen, etwas, das mir Spaß macht. Beziehungen fand ich eigentlich immer recht uninteressant und darum habe ich mir damit so richtig viel Zeit gelassen. Und prompt war mein Leben irgendwie auch fast nie mehr unbeschwert, nachdem ich meinen ersten Freund hatte, mit 18. Mich hat das total überfordert.

Nach dieser Beziehung und dem ersten richtigen Kummer, den die zweite Liebe mit sich brachte, dauerte es, bis ich mich wieder erholt hatte und danach ging es mir richtig gut, ich war frei, fröhlich, gesund, hatte eine Menge Freunde und genoss das Leben. Dann kam wieder eine Beziehung und eine Phase in meinem Leben, an die ich lieber nicht zurückdenken möchte. Ganz zu schweigen von meinem beruflichen Werdegang, der so gesehen auch von völliger Planlosigkeit geprägt war. Ich hatte Wünsche und Träume, aber wie gesagt, absolut keinen Plan und machte eben - zwangsläufig und daher eher lustlos - lauter Dinge, auf die ich eigentlich keine Lust hatte. So richtig anpassen wollte ich mich nämlich gar nicht. Und an Kinder war überhaupt nicht zu denken.

Diese Phase endete mit der Begegnung mit dem Vater meines Sohnes. Als wir uns über den Weg liefen, hatten wir beide Dinge erlebt, die uns schwer in den Knochen hingen. Manchmal denke ich mir, wir haben uns gegenseitig so ein bisschen gerettet damals. Es war eine schöne Zeit, wir sehnten uns nach Ruhe und Gleichmäßigkeit, nach Stabilität und Zugehörigkeit - so würde ich es zumindest rückblickend formulieren. Wir hatten Hoffnung und setzten alles auf eine Karte.

Es war die Zeit, in der auch in unserem Umfeld die ersten Babys kamen. Wir waren alle Anfang dreißig, da überlegt man schon langsam, wo es eigentlich hin gehen soll. Wir stellten uns vor, wie wir als Eltern sein würden - und ich merkte, wie ich mir tatsächlich ein Kind wünschte. Das kam überraschend. Aber ich war mit meinem Wunsch nicht allein und dann ging es auch ganz schnell... der Rest ist ja bekannt (oder in anderen Postings nachzulesen).

Ich erinnere mich an einen Moment, als ich schon mit meinem Sohn allein war, in dem ich zu meiner Freundin sagte: "Ich bräuchte nicht unbedingt ein Kind."

Das bedeutet nicht, dass ich mein Kind nicht liebe. Ich liebe mein Kind sehr. Aber ich weiß, dass ich mit Sicherheit grundsätzlich in der Lage wäre, eine gute Zeit zu haben, wenn ich nicht Mutter geworden wäre. Wobei ich offen gestanden keine Ahnung habe, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte ich nicht an diesem 9. Juni 2008 - am Montag nach einem ziemlich ungesunden Wochenende auf Rock im Park - dann doch ziemlich überraschend einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand gehalten. Ich weiß nicht, wie lange meine Beziehung überlebt hätte und wann ich angefangen hätte, einen etwas gesünderen Lebensstil zu leben - wenn ich nur daran denke, wie viel ich früher geraucht habe! An diesem 9. Juni endete mein Leben als Raucher. Ich bin dankbar, nie wieder mit dem Rauchen angefangen zu haben, wenn man von dem gelegentlichen Ziehen an anderer Zigaretten absieht.

Hätte ich kein Kind bekommen, würde ich mit Sicherheit noch rauchen. Viel rauchen. Ich wäre vermutlich irgendwann auch wieder Single gewesen und wäre ausgiebig um die Häuser gezogen. Mit Sicherheit wäre ich wesentlich früher mit meinem Studium fertig geworden und hätte schon ein paar Jahre mehr in die Rentenkasse gezahlt. Ich hätte mehr Geld. Und bestimmt wäre ich ein paar Mal mit meinem besten Freund nach Schottland gereist. Sehr wahrscheinlich hätte ich 10-15 kg weniger auf den Hüften. Eventuell würde ich einmal die Woche irgendeinen Sport machen, weil ich mich gern bewege. Und es besteht die Möglichkeit, dass ich eine Katze hätte. Oder eine Maus.

Bereue ich, Mutter geworden zu sein? Der Gedanke ist verlockend. Aber nein, ich bereue es nicht.

Mit meinem Kind und dem Leben als alleinerziehende Mutter habe ich definitiv bis auf Weiteres meine Komfortzone verlassen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die im Muttersein Erfüllung finden. Das ist bei mir einfach nicht so, ich finde Erfüllung vor allem in Bildung, im Erweitern meines Horizonts, im Entdecken, im Fragen stellen und Antworten suchen, in langen Gesprächen, im Austesten meiner Grenzen, im Weiterentwickeln meiner selbst. Ja, viel mehr gibt es da leider tatsächlich nicht. Eigenbrötler halt. Schon fast peinlich. Vielleicht aber auch eine Entwicklung, die sich natürlich ergibt, wenn die ersten Beziehungserfahrungen nicht so gut waren? Wer weiß.

Aber: Ich habe mich ja entwickelt. Nur unter anderen Umständen, als ich es mir vorgestellt hatte. Unter unbequemeren Umständen.

Ja, Mütter haben es schwer heutzutage. Was wird über uns diskutiert, was klugscheißern wir um die Wette mit anderen Müttern, was gut und richtig ist, was natürlich, was unerhört, was überholt, was inakzeptabel. Was zerreißen wir uns zwischen all den Dingen, die wir gleichzeitig haben können und schon allein deswegen irgendwie auch wollen. Wir bewegen uns zwischen Erfolg und Scheitern, zwischen Kind und Karriere, zwischen Helikoptermuttersein oder Nicht-Erziehen. Unsere Welt ist voller Extreme. Und auch wenn ich verstehe, dass man als Mutter gelegentlich die Schnauze gestrichen voll hat (siehe mein letztes Posting!) und sich wünscht, man hätte sein altes Leben wieder - für mich ist "Regretting Motherhood" der Gipfel der Extreme und ausnahmsweise mal ein Extrem, das ich inhaltlich komplett ablehne.

Wir haben Kinder in die Welt gesetzt und das ist auch gut. Und wir haben die verdammte Pflicht, in diesen globalen Irrenhaus mit allen Mitteln für sie da zu sein, sie zu unterstützen und ihnen alle Liebe angedeihen zu lassen, die wir haben. Zu sagen: "Ich bereue, dass ich Mutter geworden bin." muss für ein Kind, egal, wie alt es ist, aus dem Mund seiner Mutter ein Schlag ins Gesicht sein. Und selbst, wenn man, nachdem man diesen Satz von sich gegeben hat, erklären und relativieren kann, sind diese Worte für mich tabu.

Ich bereue wirklich vieles. Aber selbst, wenn ich nun in einer Situation bin, die ich mir anders wünschen würde - ich bereue weder, den Vater meines Sohnes getroffen zu haben noch, mit ihm ein Kind bekommen zu haben. Ich bereue auch nicht, damals gegangen zu sein. Ich weiß, wir Alleinerziehenden werden vom Staat im Stich gelassen und das ist eine Schande. Nur kann da mein Kind nichts dafür. Er ist ein Geschenk - mit einem Millionen Seiten langen Manual, voller Überraschungen, die größte Herausforderung. Und das lasse ich mir nicht von der Gesellschaft, in der ich lebe, kaputt machen.

Lieber tausendmal 
Fuck the System!
als nur einmal 
Regretting Motherhood!





Sour Times

Im Gespräch mit anderen, nicht alleinerziehenden Müttern hört man ja manchmal, dass es mit Partner auch nicht immer leicht sei. Das glaube ich - wenn an dem Klischee, dass Frau sozusagen ein Kind mehr in Gestalt ihres Partners mit versorgen muss, etwas dran ist...

Ich sah mich in meinem Leben vor dem Kind eigentlich nie in einer klassischen Familie mit klassischer Rollenaufteilung. Und auch mein bester Freund meinte einmal, er habe mich schon immer (und wir reden hier von über zwanzig Jahren) immer eher in der Rolle einer alleinerziehenden Mutter gesehen, als in der Rolle einer "Familienmutter". War  zwar nicht so geplant, aber irgendwie hat es für mich auch immer gepasst, mit meinem Sohn allein zu sein. Selbst wenn ich phasenweise am Limit laufe und diese Zeiten körperlich deutliche Spuren hinterlassen haben, ich es nicht mag, so wenig Freiheiten, so wenig Geld und so wenig Zeit für mich zu haben, aber immerhin hatte ich das Gefühl, alles im Griff zu haben.

Womit ich nicht gerechnet hatte ist, was sich mit dem Schuleintritt und allem, was dazugehört, ändern würde. Und auch wenn ich mir früher in schwierigeren Situationen mit meinem Sohn dachte, dass das Alleine-Erziehen das eigentlich blöde am Alleinerziehen ist, hatte ich in den letzten Tagen immer wieder mal den Gedanken: Ich schaffe das nicht alleine.

Manchmal braucht man einfach einen Partner, der das Kind mit erzieht.
Hier hatte ich nun ein paar Tage (für mich völlig ungewohnt! Tage!) am Stück die Situation, dass mein Sohn und ich überhaupt nicht miteinander konnten und holla die Waldfee, es ist absolut erschreckend, wie ein siebenjähriger Knirps alle Register ziehen kann, um seinen Dickkopf durchzusetzen. Und holla die Waldfee, es ist ebenso erschreckend, wie er damit genau die Knöpfchen erwischt, die mir völlig die Souveränität rauben und mit komplett den Teppich unter den Füßen wegziehen. Und holla die Waldfee, ich weiß jetzt, dass ich dann auch zum Hulk werden kann.

Wie sehr habe ich mir in diesen Tagen gewünscht, diese Kämpfe nicht allein mit dem Jungen ausfechten zu müssen. Wie sehr eine geteilte Verantwortung helfen würde oder einfach nur ein Puffer, der dazwischengeht, wenn die Zornesfalte auf Söhnchens Stirn wieder mal besonders deutlich zum Vorschein tritt, die Arme vor der Brust verschränkt werden, kein Wort über seine Lippen kommt, aber die vor Wut funkelnden Augen Bände sprechen. Wenn ich mit Engelszungen versuche, an ihn heranzukommen und nach -zig gescheiterten Versuchen der Frust so groß ist, dass mir der Kragen platzt und ich ganz tief in die Schublade der dysfunktionalsten, dümmsten und misserfolgversprechendsten Erziehungsstrategien greife. Mit dem Ergebnis, dass mein Sohn hinterher noch sturer wird und ich kurz vorm Verzweifeln bin.

Ich gebe zu: Ich bin sensibel. Ja, ich nehme wirklich den Flügelschlag einer Fliege wahr und ja, dieser Flügelschlag fühlt sich für mich auch mal an wie ein Tornado. Und vielleicht gibt es Mütter, die solche Situationen mit einer gewissen Gelassenheit aushalten können. Ich kann es nicht.

Nachdem mir vorgestern der Kragen geplatzt war, heulte ich bestimmt eine Stunde nonstop durch. Und auch am nächsten Tag scheiterte jeder Versuch, auf mein Kind zuzugehen und ihn dazu zu bewegen, auch einzulenken und vielleicht auch mal auf eine Frage, eine Bitte, einen Versuch, auf ihn zuzugehen, mit Ja zu antworten.

Klar habe ich Menschen, mit denen ich Rücksprache halten kann. Im Hort habe ich tolle Erzieherinnen als Ansprechpartner und auch die Lehrerin meines Sohnes liegt mir sehr, hört zu, sieht das alles nicht so eng. Ich habe Freunde, die mir den Rücken stärken und meine Mutter, die zwar meist ein bisschen mehr Fürsprecherin meines Sohnes ist, aber von der ich in den letzten Tagen auch eine große und ungewohnte Portion Mitleid erfahren habe.

Es ist dennoch etwas anderes, nehme ich an, als wenn man zumindest einmal am Tag mit einem anderen Menschen zusammensitzt, der dem Kind ebenso zugetan ist, wie man selbst - der mit einem zusammen überlegt, auch im Interesse des Kindes, der einen beruhigt oder der auch auf das Kind "einwirken" (blödes Wort, aber mir fällt gerade kein schöneres ein) kann.

Wenn mir eine Frau erzählt, dass ihr Partner ihr nicht zuhört, wenn sie sich solche Sorgen um ihr Kind macht - sei es am Telefon oder wenn man sich zuhause "über den Weg läuft" - dass es diesen Partner nicht interessiert, wenn das Kind alles verweigert von Essen bis zu den Hausaufgaben - dann stimmt etwas nicht. Dann ist das sicherlich nicht die Partnerschaft, Ehe oder was auch immer, der ich meine Situation gegenüber stelle. Der Sinn einer Partnerschaft liegt immer noch darin, sich gegenseitig zu unterstützen. Und auch wenn in vielen Familien mit zwei Eltern sicherlich ein größerer Teil der Verantwortung bei der Mutter liegt: Es ist immer noch ein Unterschied, ob man die meiste oder die alleinige Verantwortung hat.

Diese Erfahrung muss ich auf jeden Fall erst einmal sacken lassen. Das Gefühl, alleine nicht zurecht zu kommen, ist neu für mich. Ich bin sicher, es ich vergänglich, aber es wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Was wird erst in der Pubertät? Darüber will ich gar nicht nachdenken.