Mittwoch, 6. Januar 2016

290.000 Zahlen oder: Willkommen in der Matrix.

An der Raffinesse des ursprünglichen Titels, den ich für mein erstes Posting im neuen Jahr gefunden habe ("Lagebericht"), kann man erahnen, in welchem Zustand ich mich gerade befinde - meine Kreativität stellt sich derzeit als eine Nulllinie dar, begleitet von einem gleichbleibenden Summton. Das heißt aber nicht, dass es mir schlecht geht - aber es ist so kurz vor knapp, dass ich mich in eine Art meditatives Exil zurückgezogen habe. (Da ist es schon wieder - Exil.)

Die letzten Wochen zeichneten sich durch eine totale Blockade aus, die sich aus meiner heillosen Überforderung ergibt, die Theorie für meine Masterarbeit rund zu bekommen und dabei keinen Zusammenhang zu unterschlagen, dabei aber einen Schwerpunkt zu finden, auf den ich mich konzentrieren kann, das dafür passendste der vielen Modelle zu finden, hierfür auch die Literatur aufzutreiben und dann einen roten Faden hineinzubringen, der alles nachvollziehbar und flüssig verbindet. Und das ist eine  ziemliche Katastrophe, denn eigentlich sollte die Theorie bis dato schon geschrieben sein - was sie auch ist, nur nicht so, dass ich etwas davon verwenden könnte. Viel zu komplex, viel zu breit. Ja, es macht sich Panik breit.

In diesen Zustand platzten dann die Feiertage, die ich zwar irgendwie genießen konnte, aber wie das halt so ist mit der Verdrängung: Man bekommt es potenziert zurück: Die letzten Tage hatte ich entweder bereits vor dem Aufstehen morgens Kopfschmerzen oder ich wachte nach 4 Stunden Schlaf zwischen 4.30 Uhr und 5.30 Uhr auf und war hellwach - und da fällt mir eben mal nichts anderes ein,, als mich direkt an den Schreibtisch zu begeben. Als sich nun auch noch erneut Halsschmerzen und dicke Lymphknoten ankündigten, reichte es mir und ich habe mir massivst die Bremse reingehauen. Wenn mein Sohn da war (und das war nicht oft der Fall, er durfte einen großen Teil der Ferien bei seiner Omi genießen) ging auch ich ins Bett, wenn er schlafen ging, und da er in solchen Zeiten, in denen er fast ständig weg von mir ist, gern bei mir einschläft, zwang mich das zur Ruhe. So lagen wir um 20 Uhr in den Federn, hörten Satiren von Kishon an und ratzten dabei beide in Nullkommanichts weg - die elf Stunden Schlaf waren Gold wert...

Ansonsten strukturiere ich meinen Tag gerade durch Rituale und viel, viel Achtsamkeit - auf meine Art, und ich merke, wie entspannt, konzentriert und effektiv ich seitdem arbeiten kann.

Nur nicht an meiner Theorie - dafür an der Statistik. Und ich liebe es! Ich schreibe zwar gern, aber zum Theorie-Schreiben gehört halt auch Lektüre und ich habe große Probleme, konzentriert Texte wirklich zu lesen. Ich lese auch seit Jahren privat fast gar nicht mehr. Texte scannen und Tabellen erfassen, das kann ich. Aber von dem, was ich eigentlich noch lesen müsste, fühle ich mich erschlagen und bei der Recherche komme ich immer vom Hundertsten ins Tauendste. Ich werde nie, nie fertig. Aber Tabellen, Zahlen - traumhaft. Mit sowas kann ich arbeiten.

Und so habe ich mir nun meinen finalen Datensatz gezogen - an die 290.000 Zellen und ebenso viele Zahlen hat die Tabelle, mit der ich arbeite. Daten von ca. 850 Müttern. Aktuell bereite ich die Daten noch auf.  Transformiere die Variablen, berechne neue (vor allem betrifft das die Gesamtskalen) und bügle Fehler aus, die ich bei der Erstellung der Umfrage natürlich auch gemacht habe. Ich tauche ab in meine riesige Tabelle und bin glücklich, weil mir das alles leicht von der Hand geht.

Dabei passiert aber etwas anderes. Ich sehe ja auch die Daten und kenne die Variablen und Werte wie meine Hosentasche. Dadurch werden für mich meine Probandinnen alle sichtbar. Ein Freund hat mir, als ich davon erzählte, das passende Bild dafür in Erinnerung gebracht:



Der Moment, als im Film "Matrix" Neo zum ersten Mal die Matrix sehen kann bzw. erkennen kann, was sie kodiert.

Bei mir sieht das Ganze übrigens so aus:

 

So ähnlich wie Neo in der Matrix geht es mir - ich sehe im Datensatz meine Probandinnen. Sie sind - für mich - eben nicht nur eine laufende Nummer, sondern Frauen, die unheimlich viel leisten und teilweise auch ertragen müssen. Wie viele haben angegeben, ständig unter Schmerzen zu leiden oder völlig isoliert zu sein. Wie viele offene Antworten zeigen mir die Schicksale - frische Trennungen, verlorene oder sehr kranke Kinder.

Das berührt mich sehr und macht mich gleichzeitig dankbar und stolz, dass sie sich trotzdem die Zeit genommen haben, mir zu helfen.
Die Frauen, die ich in meinen Daten sehe, sind ein großer Ansporn, meine Arbeit gut zu machen und zu versuchen, im Anschluss weiter zu gehen - eine Projektidee habe ich schon und/oder ein Thema für eine Dissertation.

Aber eins nach dem anderen. Jetzt heißt es erst einmal: Nicht die Nerven verlieren und gesund bleiben, um mein Masterstudium zu einem guten Ende zu bringen.

Mittlerweile hat sich aber wenigstens ein Fünkchen Kreativität geregt. Mein neuer Titel klingt wesentlich origineller, finde ich. Das lässt hoffen.

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