Donnerstag, 17. März 2016

Zeit für einen Brief

Liebe Alleinerziehende,

aus gegebenem Anlass habe ich heute Lust, einen Brief zu schreiben, an Dich, an Euch, an uns alle. 

Seit ein paar Tagen bin ich ziemlich unfit und nachdem ich die ersten Symptome stur ignorierte und trotzdem jeden Tag in der Gegend herumflitzte, Termine wahrnahm und dabei noch meinen dringenden Nachholbedarf an Bewegung in der frischen Luft decken musste, hat es mich nun so richtig niedergestreckt.

Ihr kennt das. Krank werden geht gar nicht. Zu den am meisten gefürchteten Vorboten der Apokalypse Alleinerziehender ist ein krankes Kind, aber die Steigerung ist, wenn man selbst krank ist. 

Ein paar Erkrankungen habe ich in den letzten sieben Jahren zu fürchten gelernt, ganz vorne an das Noro-Virus und Streptokokken, letztere bescherte uns vor zwei Jahren  im Winter ein ausdauerndes Krankheits-Ping-Pong und jeweils insgesamt drei Wochen Antibiose. Nicht zu vergessen, dass ich, seit ich alleinerziehend bin, durchschnittlich einmal im Jahr dank einer Kehlkopfentzündung stummgeschaltet bin. 

Als wir es mit dieser Streptokokkeninfektion zu tun hatten, war ich völlig verzweifelt. Ich hatte furchtbare Schmerzen, mein Sohn auch, und sobald wir mit der Antibiose durch waren, hatten wir es zwei Tage später wieder. Ich war völlig zermürbt.

Ich erzähle das, weil ich heute einen Moment hatte, der mich trotz Krankheit froh gemacht hat. Ich habe mich an das Interview erinnert, das Alexandra Widmer mit mir geführt hat, in dem wir uns einig waren, dass eines ganz wichtig ist, nämlich das Wissen darum, dass es vorbei geht.

Heute morgen konnte ich kaum sprechen, schleppte mich in die Küche, schmierte meinem Sohn seine Butterbrote und verkroch mich umgehend ins Bett zurück. Der Junge hat sich selbständig angezogen, allein gegessen, sich seine Zähne geputzt und war nach 15 Minuten mit allem fertig (was an ein Wunder grenzt, denn er ist jemand, der sich für alles seeeehr viel Zeit nimmt). Und dann ist er nochmal für eine Weile im Bad verschwunden. Ohne, dass ich ihn erinnern musste, wusch er sich danach die Hände. 

Ich lag im Bett und brauchte ein Glas Wasser - dann kam mir die Eingebung: Moment, das kann doch... :) - ich rief meinen Sohn um zu fragen, ob er mir ein Glas Wasser bringen könnte und bekam sofort ein "Natürlich!" - und dann konnte ich mir ein "Mit Strohhalm, bitte!" nicht verkneifen und bekam auch den.

Das war ein Moment! Ihr kennt das, oder? Wenn man jahrelang eigentlich nur damit beschäftigt ist, den kleinen Erdenbürger zu bedienen, sich um alles zu kümmern und selbst seit Jahren niemanden daheim hat, der einem selbst Fürsorge zukommen lässt, kann das schon etwas sehr Besonderes sein. Nicht, dass mein Sohn gar nichts daheim machen muss - klar fange ich auch damit an, ihn im Haushalt mit einzubeziehen, aber das läuft halt meist unter: Wenn Du mir hilfst, bin ich schneller fertig und kann dann auch früher mit Dir ein Spiel machen

Dieses Erleben von Fürsorge heute war für mich ein ganz großer Meilenstein. (Für meinen Sohn auch, er hatte sein Highlight, als er mir danach noch das Fieberthermometer in den Mund stecken durfte.) Und ich könnte lange und breit darüber schreiben, was mir im Zusammenhang damit noch so alles klar wurde, aber meinen Brief schreibe ich aus einem anderen Grund, und der ist, dass mir das "Es geht vorbei!" wieder einmal so klar wurde. 

Denn einiges, das ich vor wenigen Jahren noch ganz furchtbar fand, ist vorbei gegangen:

Das erste Jahr, in dem ich alle möglichen Befürchtungen hatte, wie das zwischen dem Vater meines Sohnes und uns so laufen wird, ist vorbei gegangen.

Die Nächte, in denen ich mindestens fünfmal geweckt wurde, sind vorbei gegangen.

Die Semester, in denen ich immer wieder bangte, ob ich wohl in Seminare komme, die sich mit den Betreuungszeiten meines Sohnes verbinden lasse, sind vorbei gegangen.

Die stressigen Phasen, vor allem die Klausurenzeiten, die mich jedes Mal an meine Grenzen brauchten und in denen ich von einem schlechten Gewissen geplagt wurde, sind vorbei gegangen.

Die Jahre in dem hässlichen, dreckigen und miefigen Haus, in einer Wohnung, in der alles auseinanderfiel, sind vorbei gegangen.

Die Zeiten, in denen ich mich einsam und völlig isoliert fühlte und wochenlang kaum mit anderen Erwachsenen ein Wort wechselte, außer mit der Kassiererin im Supermarkt, sind vorbei gegangen.

Die ersten Wochen, in denen mein Sohn alleine seinen Schulweg zurücklegte und ich heimlich hinterher schlich, weil es mir so schwer fiel, ihn alleine losgehen zu lassen, sind vorbei gegangen.

Mittlerweile kann ich ihn sogar eine Stunde allein daheim lassen. Ich stehe kurz vor meinem Abschluss und auch unsere finanzielle Situation wird sich wohl demnächst zumindest ein wenig verbessern. 

Was ich damit sagen will: Natürlich ändert sich nicht alles von allein zum Besseren. Aber die Zeit arbeitet immer für uns. Die Kinder werden größer und damit erobern wir uns unsere Freiräume zurück. Gerade ist mir klar geworden, dass mein Sohn sogar schon in ein Alter kommt, wo man nicht mehr nur Kleinkinderfilme mit ihm anschauen kann (auch, wenn er nach wie vor eine erklärte Schwäche für Pocoyo hat, den ich auch ganz entzückend finde). Beim Papa durfte er sogar schon Star Wars anschauen, und scheinbar (*zwinkert allen Müttern zu, die es nicht verhindern konnten, dass ihr Kind damit angefixt wird*) hat es ihm gefallen. Freitags gehen wir am Abend zusammen außer Haus essen - ok, billig und dafür nicht hochwertig, aber das Ausgehen zählt. Wir haben 2015 einen gemeinsamen Urlaub gemacht und haben in sieben Tagen vier Orte in Holland erkundet und dabei eine liebe Freundin besucht, die ich jahrelang nicht gesehen hatte. 

Ich habe in meinem Leben schon wesentlich Schlimmeres erlebt, als alleinerziehend zu sein. Daher wusste ich schon, dass alles einmal vorbeigeht. Bestimmt werden wir die Folgen des Alleinerziehens unser Leben lang spüren. Ich sage nur Rente und Gesundheit. Natürlich denke ich darüber nach. Schon jetzt überlege ich hin und her, wie ich einmal würdevoll altern kann. Da ich noch nie mehr hatte, als ich wirklich brauchte, mir eigentlich noch nie regelmäßig Urlaub leisten konnte und auch kein Auto, wird es nichts Neues für mich sein, wenig Geld zu haben. 

Es gibt ein christliches Gebet, das ich auch als nicht-Christin sehr zu schätzen weiß und das ich an dieser Stelle zitieren möchte:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
  den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

  und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Wikipedia zitiert eine längere englischsprachige Version:

God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
  Courage to change the things I can,

  And wisdom to know the difference.

  Living one day at a time,

  Enjoying one moment at a time,

  Accepting hardship as a pathway to peace, (...)

Ich denke, damit können auch anders- oder nichtgläubige Menschen etwas anfangen: Es gilt, zu unterscheiden, was man ändern kann und was nicht. Manches ändert sich auf wunderbare Weise von selbst.

Über das Ändern könnte ich weitere lange Seiten füllen - aber das lasse ich an dieser Stelle. Was ich hier und heute unbedingt sagen wollte war einfach: Es geht vorbei. 

Alles geht vorbei. Nicht alles geht spurlos an einem vorbei, aber das Meiste wird besser. Es wird nicht optimal. Es wird nie so sein, als ob wir nie durch diese harten Zeiten gegangen wären. Aber wir können uns arrangieren.

Liebe andere Alleinerziehende, vertraut darauf, dass es besser wird, wenn ihr mal richtig durchhängt. Manchmal geht es einfach nur ums Aushalten, aber irgendwann ist es geschafft. 

Und selbst, wenn niemand sonst für uns arbeitet: Die Zeit arbeitet immer für uns. Sagt Euch das immer wieder.


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