Donnerstag, 10. März 2016

Regretting WTF?!

Wow. Ein neues Schlagwort erobert die Medien. Nach Attachment Parenting, Langzeitstillen, Vereinbarkeit, Helikoptermutter und was-weiß-ich sind wir nun bei Regretting Motherhood. Heute ist mit der x-te Artikel dazu in die Finger gekommen.

Ich hatte nicht unbedingt vor, Mutter zu werden. Die Vision "Mutter, Vater, Kind(er)" als erklärtes Lebensziel war mir eigentlich immer fremd. Ich war einer dieser jungen Menschen, die eigentlich gar keine Ziele im Leben hatten. Ich wollte (irgend)etwas "Sinnvolles" machen, etwas, das mir Spaß macht. Beziehungen fand ich eigentlich immer recht uninteressant und darum habe ich mir damit so richtig viel Zeit gelassen. Und prompt war mein Leben irgendwie auch fast nie mehr unbeschwert, nachdem ich meinen ersten Freund hatte, mit 18. Mich hat das total überfordert.

Nach dieser Beziehung und dem ersten richtigen Kummer, den die zweite Liebe mit sich brachte, dauerte es, bis ich mich wieder erholt hatte und danach ging es mir richtig gut, ich war frei, fröhlich, gesund, hatte eine Menge Freunde und genoss das Leben. Dann kam wieder eine Beziehung und eine Phase in meinem Leben, an die ich lieber nicht zurückdenken möchte. Ganz zu schweigen von meinem beruflichen Werdegang, der so gesehen auch von völliger Planlosigkeit geprägt war. Ich hatte Wünsche und Träume, aber wie gesagt, absolut keinen Plan und machte eben - zwangsläufig und daher eher lustlos - lauter Dinge, auf die ich eigentlich keine Lust hatte. So richtig anpassen wollte ich mich nämlich gar nicht. Und an Kinder war überhaupt nicht zu denken.

Diese Phase endete mit der Begegnung mit dem Vater meines Sohnes. Als wir uns über den Weg liefen, hatten wir beide Dinge erlebt, die uns schwer in den Knochen hingen. Manchmal denke ich mir, wir haben uns gegenseitig so ein bisschen gerettet damals. Es war eine schöne Zeit, wir sehnten uns nach Ruhe und Gleichmäßigkeit, nach Stabilität und Zugehörigkeit - so würde ich es zumindest rückblickend formulieren. Wir hatten Hoffnung und setzten alles auf eine Karte.

Es war die Zeit, in der auch in unserem Umfeld die ersten Babys kamen. Wir waren alle Anfang dreißig, da überlegt man schon langsam, wo es eigentlich hin gehen soll. Wir stellten uns vor, wie wir als Eltern sein würden - und ich merkte, wie ich mir tatsächlich ein Kind wünschte. Das kam überraschend. Aber ich war mit meinem Wunsch nicht allein und dann ging es auch ganz schnell... der Rest ist ja bekannt (oder in anderen Postings nachzulesen).

Ich erinnere mich an einen Moment, als ich schon mit meinem Sohn allein war, in dem ich zu meiner Freundin sagte: "Ich bräuchte nicht unbedingt ein Kind."

Das bedeutet nicht, dass ich mein Kind nicht liebe. Ich liebe mein Kind sehr. Aber ich weiß, dass ich mit Sicherheit grundsätzlich in der Lage wäre, eine gute Zeit zu haben, wenn ich nicht Mutter geworden wäre. Wobei ich offen gestanden keine Ahnung habe, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte ich nicht an diesem 9. Juni 2008 - am Montag nach einem ziemlich ungesunden Wochenende auf Rock im Park - dann doch ziemlich überraschend einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand gehalten. Ich weiß nicht, wie lange meine Beziehung überlebt hätte und wann ich angefangen hätte, einen etwas gesünderen Lebensstil zu leben - wenn ich nur daran denke, wie viel ich früher geraucht habe! An diesem 9. Juni endete mein Leben als Raucher. Ich bin dankbar, nie wieder mit dem Rauchen angefangen zu haben, wenn man von dem gelegentlichen Ziehen an anderer Zigaretten absieht.

Hätte ich kein Kind bekommen, würde ich mit Sicherheit noch rauchen. Viel rauchen. Ich wäre vermutlich irgendwann auch wieder Single gewesen und wäre ausgiebig um die Häuser gezogen. Mit Sicherheit wäre ich wesentlich früher mit meinem Studium fertig geworden und hätte schon ein paar Jahre mehr in die Rentenkasse gezahlt. Ich hätte mehr Geld. Und bestimmt wäre ich ein paar Mal mit meinem besten Freund nach Schottland gereist. Sehr wahrscheinlich hätte ich 10-15 kg weniger auf den Hüften. Eventuell würde ich einmal die Woche irgendeinen Sport machen, weil ich mich gern bewege. Und es besteht die Möglichkeit, dass ich eine Katze hätte. Oder eine Maus.

Bereue ich, Mutter geworden zu sein? Der Gedanke ist verlockend. Aber nein, ich bereue es nicht.

Mit meinem Kind und dem Leben als alleinerziehende Mutter habe ich definitiv bis auf Weiteres meine Komfortzone verlassen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die im Muttersein Erfüllung finden. Das ist bei mir einfach nicht so, ich finde Erfüllung vor allem in Bildung, im Erweitern meines Horizonts, im Entdecken, im Fragen stellen und Antworten suchen, in langen Gesprächen, im Austesten meiner Grenzen, im Weiterentwickeln meiner selbst. Ja, viel mehr gibt es da leider tatsächlich nicht. Eigenbrötler halt. Schon fast peinlich. Vielleicht aber auch eine Entwicklung, die sich natürlich ergibt, wenn die ersten Beziehungserfahrungen nicht so gut waren? Wer weiß.

Aber: Ich habe mich ja entwickelt. Nur unter anderen Umständen, als ich es mir vorgestellt hatte. Unter unbequemeren Umständen.

Ja, Mütter haben es schwer heutzutage. Was wird über uns diskutiert, was klugscheißern wir um die Wette mit anderen Müttern, was gut und richtig ist, was natürlich, was unerhört, was überholt, was inakzeptabel. Was zerreißen wir uns zwischen all den Dingen, die wir gleichzeitig haben können und schon allein deswegen irgendwie auch wollen. Wir bewegen uns zwischen Erfolg und Scheitern, zwischen Kind und Karriere, zwischen Helikoptermuttersein oder Nicht-Erziehen. Unsere Welt ist voller Extreme. Und auch wenn ich verstehe, dass man als Mutter gelegentlich die Schnauze gestrichen voll hat (siehe mein letztes Posting!) und sich wünscht, man hätte sein altes Leben wieder - für mich ist "Regretting Motherhood" der Gipfel der Extreme und ausnahmsweise mal ein Extrem, das ich inhaltlich komplett ablehne.

Wir haben Kinder in die Welt gesetzt und das ist auch gut. Und wir haben die verdammte Pflicht, in diesen globalen Irrenhaus mit allen Mitteln für sie da zu sein, sie zu unterstützen und ihnen alle Liebe angedeihen zu lassen, die wir haben. Zu sagen: "Ich bereue, dass ich Mutter geworden bin." muss für ein Kind, egal, wie alt es ist, aus dem Mund seiner Mutter ein Schlag ins Gesicht sein. Und selbst, wenn man, nachdem man diesen Satz von sich gegeben hat, erklären und relativieren kann, sind diese Worte für mich tabu.

Ich bereue wirklich vieles. Aber selbst, wenn ich nun in einer Situation bin, die ich mir anders wünschen würde - ich bereue weder, den Vater meines Sohnes getroffen zu haben noch, mit ihm ein Kind bekommen zu haben. Ich bereue auch nicht, damals gegangen zu sein. Ich weiß, wir Alleinerziehenden werden vom Staat im Stich gelassen und das ist eine Schande. Nur kann da mein Kind nichts dafür. Er ist ein Geschenk - mit einem Millionen Seiten langen Manual, voller Überraschungen, die größte Herausforderung. Und das lasse ich mir nicht von der Gesellschaft, in der ich lebe, kaputt machen.

Lieber tausendmal 
Fuck the System!
als nur einmal 
Regretting Motherhood!





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