Sonntag, 12. Juni 2016

Wie es zu meiner Masterarbeit kam

Seit ein paar Tagen habe ich so einen richtigen Schreibfluss. Das ist natürlich erfreulich; es geht etwas voran. Und ich gewinne wieder einen Bezug zu meinem Thema, nachdem ich nun Monate in der Matrix verbracht (Das klingt extrem cool, finde ich. Und es passt einfach zu dem ausschließlichen Denken in Variablen.) und nur Zahlen gesehen habe.

Als ich meine Probandinnen suchte, habe ich natürlich nicht immer ganz offen gelegt, worum es geht. Das möchte ich nun nachholen.

Und weil ich in den letzten Tagen mich entschieden habe, dass ich mit dem Abschluss meiner Arbeit meinen Blog auch tatsächlich beenden werde, möchte ich zum Schluss etwas tun, das ich nicht unbedingt vorhatte, nämlich wirklich persönlich über mein Thema zu erzählen. Wie es dazu kam und wie ich nun, fast zwei Jahre nach meiner Idee, darüber denke.

Das Ganze beginnt mit einem Moment, an den ich noch eine sehr genaue Erinnerung habe. Ich stand in meinem Wohnzimmer in der Erlanger Wohnung und ich glaube, ich stand mit dem Blick zu dem schlimmsten Fenster in der ganzen Wohnung; dem, das sich (wie fast alle außer ein Küchenfenster) nicht mehr öffnen ließ und blöderweise auch nicht über einen Balkon zugänglich war, sodass man es von außen nicht mehr putzen konnte. Ich hatte es mit einem Dekostoff abgehängt, weil der Anblick selbst mir als jemand, der seine Fenster ca. nur zweimal im Jahr putzt, zu hart war.

Ich erinnere mich, wie sich in meinem Kopf die Worte formten "Ich bin hier total isoliert." und im selben Moment "Ich bin lebendig begraben.". Die Erkenntnis war ein Schock. Sehr lang hatte ich es verdrängt und plötzlich wurde ich mir meiner unglaublichen Misere bewusst.

In dem Moment krachte irgendwie alles über mir zusammen. Und mir wurde klar, dass ich etwas tun musste.

Der Wunsch nach einer Partnerschaft ist glaube ich bei den meisten alleinstehenden Menschen immer ein Thema. Um zu wissen, dass dieser Wunsch auch einen guten Grund hat, braucht man auch kein Psychologiestudium. Selbst als sehr überlebensfähiger Mensch, der zudem auch noch Zeit für sich braucht und nun schon über sein halbes Leben allein lebt (das Kind zähle ich hier mal nicht mit) fühle ich mich schutz- und rastlos, solange ich den Menschen, der mich ergänzt, nicht gefunden habe.

Nach vielen Niederlagen und Enttäuschungen, gekrönt vom Scheitern meiner kurzen Ehe, wusste ich allerdings nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Ich war völlig durcheinander und desillusioniert. Hatte ich sowieso nie von der Nummer mit dem Märchenprinzen auf dem weißen Pferd und der romantischen Hochzeit in Weiß geträumt, hatte ich folglich nach dem Ehe-Aus erst einmal das kleine bisschen Rest-Romantik, das vermutlich auch irgendwo in mir schlummert, gna-den-los vom Tisch gewischt.

In dem Fall wäre es natürlich am besten, das Thema erst einmal ruhen zu lassen. Und trotzdem bin ich natürlich auch ein Mensch mit Bedürfnissen und Sehnsüchten - und WELTmeisterin darin, das vor mir selbst zu verleugnen. Also - nicht die Tatsache, dass eine Partnerschaft schon irgendwie nett wäre natürlich. Aber ich ging das alles erst einmal nüchtern an.

Wenn man nun gefühlt am A**** der Welt sitzt mit einem Kleinkind daheim, in einer Studentenstadt, in der die meisten Menschen aus dem alltäglichen Umfeld entweder zehn Jahre jünger und dazu weiblich sind oder ihre Familienidylle haben und man auch da nicht wirklich reingehört, man zudem auch noch chronisch abgebrannt ist, bleibt da natürlich nicht viel, außer die kostenlos zugänglichen Datingportale.

Ich will diese Portale gar nicht schlecht reden. Man lernt nach einiger Zeit, damit umzugehen. Und tatsächlich trifft man da auch spannende Menschen - ich habe dort sogar Männer kennengelernt, mit denen ich bis heute noch Kontakt habe. Einen davon möchte ich, auch wenn wir uns selten hören und noch seltener sehen, nicht mehr missen, weil er sich wirklich wie ein langer, vertrauter Freund anfühlt und wir auf einer sehr tiefen Ebene miteinander sprechen können. Mehr ist da halt nicht - aber auch nicht weniger.

Nach einiger Zeit wurde mir aber ein weiterer "Nutzen" klar: Meist wird man auf solchen Portalen dazu angehalten, sich zu beschreiben und auch anzugeben, was man eigentlich sucht. Und ich bin Meisterin im Ausfüllen von Profilseiten. Pah, was heißt eigentlich Profilseiten - ich schreibe keine Profile, ich baue Biotope. Meine Profile leben, sie entwickeln sich und verändern sich auch mit jeder Erfahrung, die ich mache. Wie praktisch für die Selbstreflexion!

Die meisten meiner Erfahrungen machte ich schriftlich und beim Durchsehen der anderen Profile dort und schon das reichte mir, um mir immer klarer darüber zu werden, was ich nicht möchte. Tatsächlich aber habe ich auch auf diesem Weg Menschen besser kennengelernt. Auf wenige habe ich mich, mal mehr, mal weniger, aber immer mindestens ein bisschen, eingelassen und nachdem ich ja nun immer noch alleine bin, dürfte klar sein, dass auch all diese kleinen Versuche nicht ohne kleinere, manchmal auch größere Kratzer einhergingen. Die wiederum lehrten mich, was ich offenbar brauche, was ich will und wozu ich bereit bin. All dies war irgendwie ständig im Wandel und das spiegelte sich in dem, was ich dort schrieb und löschte und hinzufügte und änderte..... kurzum: Ich fand ganz ehrlich mein eigenes Profil auf diesen Seiten immer am interessantesten.

Diese Datingseiten haben aber auch hässliche, anstrengende, demütigende und verletzende Seiten. Schon das gesamte Procedere ist würdelos, es ist ein "meat market", eine Fleischbeschau, ein Menschen-Shoppen, ein ständiger Vergleich und manche Männer halten es offenbar für die preisgünstigere Variante zu käuflichem Sex. Als Frau kann man eigentlich noch so sehr darum kämpfen, als Person wahrgenommen zu werden und noch so deutlich schreiben, dass man nichts von "casual Dating", Affären, "Friends with benefits" etc. hält (nicht, ohne das vorher auch gründlich in Erwägung gezogen zu haben!) - es wird ja meist nicht einmal gelesen. Und die Zuschriften, die man bekommt, von denen fange ich gar nicht erst an. Nur so viel: Komplette Sätze mit Satzzeichen, einem Gruß vorne und hinten - Fehlanzeige.

Trotz allem findet man wie gesagt manchmal eine Perle und selbst, wenn bislang nichts dabei herausgekommen ist - es ist ein relativ ökonomischer Weg, "unter Menschen" zu kommen. Und so schlug ich dort doch einige Abende meiner "Einzelhaft" tot und hatte eine Art on-off-Beziehung mit dem online-Dating - off, weil es mir schnell auch zu viel wurde und ich das doch überwiegend primitive Niveau nicht gut auf Dauer ertragen konnte und on, weil ich dachte, ich sei es mir schuldig, das Thema mit der neuen Partnerschaft noch nicht ganz abzuhaken - mit wenig Aufwand, ohne genau zu wissen, was ich will und was ich überhaupt noch bekomme und vor allem stets darum bemüht, mich und mein Herz zu schützen.

Und irgendwann fand ich mich in meinem Wohnzimmer, halb tot vor Einsamkeit. Voller Angst vor erneuten Niederlagen und Verletzungen, angewidert von den Lügen auf dem meat-market, von der Gefühllosigkeit, den der Distanz und dieser Dissoziation, die sich in mir eingeschlichen hatte. In der ganzen Zeit hatte mein Kopf zwar immer weiter gearbeitet bei der Analyse meiner do & don't-Liste - aber meine Gefühle hatte ich ganz, ganz weit weg geschoben.

Diese Erkenntnis, einsam zu sein, war für mich ein Schock. Und mir wurde klar, dass es nur einen Weg gibt, das zu beenden, nämlich mir wieder zu gestatten zu fühlen, zu brauchen, zu wünschen - und damit ein gewaltiges Risiko einzugehen. Und, mich damit auseinanderzusetzen, was Partnerschaft für mich bedeutet, denn irgendwie hatte ich immer noch gar kein richtiges Bild davon. Die Jahre waren nur so an mir vorbeigerauscht, ich hatte mich verändert. Als ich den Vater meines Sohnes kennenlernte, hörten wir noch Rage Against The Machine, Metallica und gingen bei The Cavalera Conspiracy ab wie Schmidts Katze. Dass ich da herausgewachsen bin, ist mir erst vor Kurzem klar geworden. Mittlerweile höre ich wieder (wie in meiner Jugend schon) gern Klassik und instrumentale Musik und habe mir vor einiger Zeit erst ganz viel Tango-, Flamenco- und Jazz heruntergeladen. Aber auch das ist ein anderes Thema.

So ähnlich war das mit dem Thema Partnerschaft auch, das heißt: Ich habe mich zum ersten Mal vor dem Hintergrund damit auseinandergesetzt, dass ich mich wirklich wieder einlassen muss und wie ich mir das so vorstelle. Ich habe gesehen, dass ich dafür als Frau, die sich auch weiterentwickelt hat, auf neues Terrain einlassen und meine vertraute Komfortzone verlassen müsste, indem ich mir eingestehe, was mir fehlt, wonach ich mich sehne und was ich auch brauche. Brauche, herrje!

Naja, und was macht man da als Wissenschaftlerin-to-be? Ganz genau. Erst mal abchecken, ob sich das alles überhaupt lohnt. Dem drohenden emotionalen Terrain erst mal ganz laut das erlernte Forschungshandwerk entgegensetzen und eine Art qualitative Kosten-Nutzen-Analyse machen.

Vor dem Hintergrund der Kosten - Partnersuche (sich weiterhin online mit ätzenden Kerlen herumschlagen), Zeitaufwand (Studium, Kind, was noch?!), Schutzwall herunterlassen (Hilfe!) - LOHNT es sich überhaupt? Wird es mir dann auch wirklich besser gehen oder ist es einfach nur eine zusätzliche Belastung, eine neue Partnerschaft aufzubauen, zu organisieren und auszuhandeln und zwar in einer Triade, nicht nur in einer Dyade?

Da spielen natürlich eine Menge Faktoren mit hinein, gar keine Frage. Ich habe mir dafür ein paar Punkte ausgesucht und mich dabei - ganz romantisch - an dem Prinzip von Prognoseinstrumenten aus der Straftäterbegutachtung orientiert: Ich wollte vor allem objektive Merkmale der Beziehung verwenden, das ist ja auch am praktischsten. Wie so eine Art Checkliste, um damit eine Prognose erstellen zu können. Eine Checkliste wird das natürlich nicht, aber ich hoffte, zumindest sagen zu können: Unter dieser und jener Bedingung tut ein neuer Freund einer maximal gestressten alleinerziehenden Frau tatsächlich auch so richtig gut.

Meine Theorie dazu werde ich beizeiten mal erklären. Aber nicht mehr heute.













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